Full text: Theorie und Praxis der Heimatkunde

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Aus den eben geschilderten Verhältnissen geht hervor, daß der Feld¬ 
rain anfangs nur eine lose, jährlich wechselnde Grenze zwischen den ver¬ 
teilten Grundstücken bildete, später aber den Grundbesitz einer Mark¬ 
genossenschaft umschloß und damit zu einer bestimmteren Grenze wurde. 
Im Laufe der Zeit gestalteten sich die Eigentumsverhältnisse in den 
Markgenossenschaften so, daß das Oberhaupt einer Familie den gesamten 
Grundbesitz derselben als erbberechtigtes Eigentum erhielt. Die Ver¬ 
erbung erfolgte nach dem Rechte der Erstgeburt. Die jüngeren Söhne 
einer Familie blieben ohne Eigentum. Die freien Grundbesitzer waren 
in den Kriegszeiten zu Kriegsdiensten verpflichtet, die übrigen Freien 
ohne Grundbesitz hatten Kriegssteuern zu leisten. Um diesen Verpflich¬ 
tungen zu entgehen, trat der kleine Grundbesitzer sein Eigentum an einer: 
Adeligen ab und empfing es als Lehen von diesem zurück. 
Auf diese Weise nahm die Zahl der freien Männer bedeutend ab, 
und die Großen des Reiches, Adelige und Geistliche, machten sich oft wider¬ 
rechtlich zu Herren großer Ländereien. Das nur ungenügend angebaute 
Land vermochte die stetig wachsende Volkszahl nicht mehr zu ernähren. 
Ein Teil der Bevölkerung ergriff daher den Wanderstab und siedelte sich 
in den von Heinrich I. und Otto I. den Sorben entrissenen Landes¬ 
teilen an. 
Kampfesfreudigen Männern, jüngeren Söhnen der Edelgeschlechter 
bot sich hier Gelegenheit, Ruhm und Besitz zu erwerben, ein neues Ge¬ 
schlecht zu begründen und auf eigenem Grund und Boden Herrenrechte 
zu üben. Tausende zogen aus Franken, Thüringen und Sachsen dort¬ 
hin und suchten auf eigener Scholle einen behäbigen Sitz und größere 
Freiheit zu erringen. Die kleinen ritterlichen Herren und die Klöster 
nahmen aber auch gern Bauern auf und siedelten sie in den Wäldern 
und Bruchländereien an, die sie ihnen gegen geringe Zinsen und Dienste 
zu Lehen gaben. Auf diese Weise gewann das Lehnswesen mehr an 
Umfang. Oft kam es auch vor, daß die Fürsten Waldländereien ohne 
Vermittelung der übrigen Grundherren an die Ansiedler verliehen. Da¬ 
durch entstanden reine Bauerndörfer ohne Herrengut. Einige Äcker oder 
Hufen wurden abgabenfrei mit dem Amte des Schulzen oder Erbrichters 
verbunden, einige andere der Kirche vermacht, während die übrigen von 
den Bauern besetzt wurden. Ein Kaufgeld hatten die Ansiedler nicht zu 
entrichten; denn das wurde in festbestimmten Renten und Abgaben er¬ 
hoben. Äller dieser Nutzungsbesitz war erblich und durfte vom Aauer 
nicht verkauft werden- denn die Grundherren blieben die Obereigentümer. 
Bei erbloser Erledigung fielen die Hufen an sie zurück. Volles Eigen¬ 
tum im heutigen Sinne wurde also damit noch nicht begründet, doch 
kam es demselben ziemlich nahe. Damit wird der Feldrain zur festen 
Grenze des persönlichen Eigentums und des erbberechtigten Besitzes. 
Von besonderer Bedeutung ist der Feldrain auch für die allmähliche 
Gestaltung der Fluranlagen. In alter Zeit findet man als Ansiede- 
lungsform fast ausschließlich das Haufendorf. Dasselbe ist ein rund
	        
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