Full text: Theorie und Praxis der Heimatkunde

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reichen. Gehöft reiht sich an Gehöft, und die „nachkommenden Ansiedler 
setzten sich an den Enden des Dorfes fest. Über eine Stunde dehnen 
sich manche Dörfer auf beiden Seiten eines Baches aus. Unten am 
fließenden Gewässer liegen Gärten und Wiesen, den Abhang hinauf 
ziehen sich die Felder, an denen entlang Feldwege laufen. Oben auf dem 
begrenzenden Höhenrücken schließt sich der Wald an, soweit er jetzt noch 
nicht der Axt und Säge erlegen ist. 
Großer: Veränderungen ist der Feldrain unterworfen gewesen, ehe 
er seine jetzige Gestaltung und Bedeutung erlangt hat. Mit seiner Ge¬ 
schichte verknüpft sich das Schicksal unseres Bauernstandes. Wie sich der 
Feldrain nach und nach zur festen Grenze des Eigenbesitzes entwickelte, 
so ist mit ihm der Landmann emporgestiegen aus den Verhältnissen der 
Leibeigenschaft und des Lehnsmannes zum freien Herrn auf eigenem 
Grund und Boden. Möge der Feldrain für den jetzigen Besitzer zu 
der Mahnung werden: 
„Was du ererbt von deinen Vätern hast, 
erwirb es, um es zu besitzen." 
Heinze, ReinSdorf. 
(4. und 8. Schuljahr.) 
25. Was mir die alte Reichenbacher Straße erzählt hat. 
i. 
Es war an einem freundlichen Herbsttage. Mit rüstigem „Schritte 
wanderte ich auf der Reichenbacher Straße nach Lichtentanne. Über der 
Landschaft lag goldener Sonnenschein. Nur manchmal machte sich der 
Wind auf und blies mit vollen Backen von den freien Höhen in das 
dürre Laubwerk der Allee. Wenn der Mensch so Blatt um Blatt vom 
Baume fallen sieht, dann wird ihm wehmütig ums Herz. In meinen 
Menschengedanken glaubte ich, der alten Straße vor mir müßte es auch 
so gehen. „Nein, lieber Wanderer," begann sie auf einmal zu sprechen, 
„warte nur ein Weilchen, dann werden die Vöglein wieder in den 
Zweigen singen, und der Frühling wird durch die dürren Äste ziehen. 
Dann werde ich den Lenz wieder feiern, wie ich ihn so manchmal in mei¬ 
nem Leben gefeiert habe. Laß dich ein wenig auf der Bank an meiner 
Seite nieder, lieber Freund! Wenn es dir recht ist, will ich ein wenig 
aus meinem langen, reichen Leben zu dir plaudern. 
Weit, weit ist der Weg meiner Wanderschaft. Aus dem schönen 
Bahernlande, wo Fichtel- und Elstergebirge zusammenstoßen, komme ich 
her, sehe dann das gewerbtätige Plauen und die Fabrikstadt Reichenbach, 
deren Namen ich in deiner Heimat trage. Von dieser Stadt her komme 
ich dir entgegen. Wendest du dein Gesicht nach der entgegengesetzten 
Richtung, so entschwinde ich wohl deinen Blicken; aber ich habe noch
	        
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