Die Zeit der falschen Aufklärung und der gewalttätigen ^taatskunst. 829
Anerkennung alles Ansehns als etwas Ueberflüssiges, ja als etwas des
Menschen Unwürdiges betrachtet wurde. Eine Willkühr, wie sie im
öffentlichen Leben geübt wurde, vertrug sich am besten mit denjenigen
Wissenschaften, mittelst deren die Kräfte der Außenwelt vervielfältigt und
gelenkt werden können. Es kam dazu, daß die aus der Ausbreitung
der Handelstätigkeit erwachsenden Verirrungen, sowie die an einzelnen
Höfen eingetretene und von da aus verbreitete Entartung des Lebens,
gern nach einer Berechtigung für das Verschmähen der bisher aner¬
kannten sittlichen Gesetze suchten, womit eine Lossagung von dem Ansehn
der Kirche sich von selbst ergab. Indem man sich durch die Ausbildung
jener in die äußere Natur eindringenden Wissenschaften im Besitze neuer
Werkzeuge der Prüfung sah, wollte man nur dem, was ihrer Prüfung
Stand hielt, Geltung zuerkennen. Damit war denn die eigentliche Er-
kenntniß auf die äußere Natur beschränkt. Doch da man sich gegen die
ganze Summe überlieferter höherer Erkenntnisse nicht gleichgültig ver¬
halten, auch den Trieb zur Gewinnung solcher Erkenntnisse nicht dämpfen
konnte, ergab sich ein doppelter Irrthum, demjenigen verwandt, der zu
heidnischer Zeit in der Sophistik gegen Glauben und Sitte gewirkt hatte.
Indem man auf dem Gebiete des sittlichen Lebens für die herkömmlichen
Grundsätze die zwingende Beweisführung, die in Rechnung und Messung
lag, vermißte, verweigerte man denselben die Anerkennung, indem man
außerhalb der Gebiete, wo Rechnung und Messung anwendbar sind,
überhaupt die Möglichkeit der Erkenntniß bestritt. Noch häufiger aber
war der andere Irrthum, der dem eigenen Denken, welches in der
Außenwelt so glänzende Ergebnisse erzielt hatte, für alle Gegenstände
eine unbedingte Fähigkeit und Befugniß der Entscheidung zusprach. Die
Folge davon war, daß man von den Vorgefundenen, bisher durch Er¬
ziehung fortgepflanzten Lehren und Satzungen nur so viel wollte gelten
lassen, als durch das eigene Denken, mit welchem man sich von der
ganzen Menschheit absonderte, sich als unumstößlich bewähren würde.
Daraus mußte denn Feindschaft und Zerstörungswuth gegen Alles, was
bisher dem Leben zur Richtschnur gedient hatte, sich entwickeln. Man
arbeitete in Schrift und Rede emsig daran, den Vorrath von Lehren,
deren Entstehung man einem zu erziehlichen Zwecken geübten Betrüge,
deren Annahme man einem mangelhaften Zustande des Geistes zuschrieb,
nach Kräften aufzuräumen. Die Natur einer solchen Auflehnung brachte
es mit sich, daß man nicht mit eigener Lossagung von den Regeln des
Lebens zufrieden war, sondern unruhig der Verneinung Theilnehmer
und Anhänger zu werben sich befliß. Für dieses Geschäft der Verwü¬
stung und seine unglücklichen Erfolge gebrauchte man den einschmeicheln¬
den Namen der Aufklärung, der eigentlich nur auf Vollständigkeit und
Ordnung der Erkenntnisse Bezug hat. Wenn solches Bemühen nicht