834 Die Zeit der falschen Aufklärung und der gewaltthätigen Staatskunst.
zu zerreißen, die den Menschen cm den Himmel knüpften. Die Stiftung
des neuen Kirchenwesens, das durch Aufhebung der kirchlichen Einheit sich
gebildet, konnte sich nur mit der Voraussetzung rechtfertigen, daß Gott
anderthalb Jahrtausende laug die Kirche habe entarten lassen, und daß den
Urhebern der Trennung die Herstellung der Kirche in ihrer ursprünglichen
Reinheit möglich sei. Daß aber die Urheber der angeblichen Wieder¬
herstellung in scharfen Widerspruch unter sich geriethen, war wenig ge¬
eignet, ihr Werk als das, wofür es gelten sollte, erscheinen zu lassen,
und gerade das vorgebliche Verderbniß, auf dem ihr Beruf beruhen
sollte, konnte kein großes Vertrauen in die Aechtheit des durch sie Ge¬
schaffenen erwecken, da es an jedem sicheren Kennzeichen für die Nich¬
tigkeit der Grenzlinie fehlte, durch welche sie das Beizubehaltende von
dem zu Verwerfenden geschieden hatten. Was von den Urhebern der
Spaltung gegen die Kirche geltend gemacht worden war, ließ sich zum
großen Theile auch gegen das von ihnen errichtete Gebäude in Anwen¬
dung bringen. Es war also bloß dem Umstande, daß mit dem Austritte
aus der Kirche bei Vielen das Bedürfniß geistlichen Lebens nicht ver¬
loren gegangen war, zu verdanken, wenn nicht allenthalben das christliche
Bewußtsein zerrann, vielmehr ein großer Theil der Ausgeschiedenen an
dem, was sie aus der Kirche mitgenommen, die Flamme des religiösen
Lebens zu nähren fortfuhr. Für Viele dagegen wurde gerade durch
die Kirchentrennung der Inhalt der christlichen Lehre in die Ferne ge¬
rückt, und der Gleichgültigkeit folgte nicht selten eine feindselige Haltung.
Das neue Kirchenwesen übte seinerseits nicht die Macht, wie es die
Kirche gethan hatte und zu thun fortfuhr. Die Vereinigung der kirch¬
lichen Gewalt mit der landesherrlichen verringerte die Stärke der erste-
ren, und die Lehre wurde den Einzelnen nicht mit der alten Strenge
unter unerbittlichen Forderungen entgegengehalten, da die beim Aus¬
tritte aus der Kirche in Anspruch genommene Freiheit des Einzelnen
auch in Bezug auf die neue Lehre zugeftanden werden mußte. Wie all
diese Freiheit auf dem staatlichen Gebiete sich geltend machte, zeigt die
Geschichte Englands im siebzehnten Jahrhundert. Es blieben aber jene
Wirkungen der Glaubenstrennung nicht auf den Kreis der aus der
Kirche förmlich Ausgetretenen beschränkt. Die neuen Grundsätze, sowie
die durch sie getragene Behandlung von Fragen der Wissenschaft und
des Lebens, fanden auch im Bereiche der katholischen Kirche Eingang
und entzogen derselben manchen Bekenner, der seine Entfernung von der
Kirche nicht durch thatsächliche Lossagung beurkundete. Das Dasein des
Protestantismus als einer neuen von so vielen Millionen angenommenen
und theils geduldeten, theils anerkannten, theils herrschenden Religion
war für diejenigen, die sich im Bereiche der Kirche mit deren Lehre oder
Zucht entzweit fühlten, eine fortwährende Aufmunterung, sich eine Son-