Full text: Viertehalb Jahrhunderte (Bd. 2, Abth. 2)

Die Zeit der falschen Aufklärung und der gewaltthatigen SLaatskunst. 835 
Verstellung zu geben und zu deren Rechtfertigung Gründe zu suchen. 
Eine solche Entzweiung nahm aber gerade da, wo man sich der katho¬ 
lischen Kirche gegenüber sah, eine weit schlimmere Natur an, als da, 
wo man eine Lossagung von dem Christenthume gegen die protestantische 
Lehre und Zucht zu vertreten hatte. Daher wirkte protestantische Denk¬ 
weise, wo sie in das katholische Gebiet eindrang, weit zerstörender, als 
in dem heimischen Gebiete. Der Eifer, mit welchem die Kirche von 
solchen Abtrünnigen bekämpft wurde, richtete sich auch gegen den Staat, 
weil dieselben Gründe, welche deren Entfernung von der Kirche herbei¬ 
geführt hatten, sie zur Unterwerfung unter jede Macht, zur Anerkennung 
jedes Ansehens unfähig machten, und weil sie durch Untergraben des 
staatlichen Ansehens ebenso der den Gehorsam gegen die Obrigkeit be¬ 
fehlenden Kirche entgegentrateu, wie sie in dem Staate den Schützer der 
Kirche anfeindeten. Es war ein und derselbe Haß, mit welchem König- 
thnm und Priesierthum angegriffen wurden, eine und dieselbe Wnth, die 
sich gegen Thron und Altar kehrte. 
6. Die Reihe derjenigen Umwälzungen, welche als Vorbereitung 
zu den von unten her unternommenen Umwälzungen von den Höfen 
aus unternommen wurden, eröffnet sich mit der Empörung gegen die 
Sittlichkeit, deren der französische Hof sich schuldig machte. Nicht allein 
unter dem während Ludwigs XV. Minderjährigkeit an der Spitze des 
Staates stehenden Regenten war die Stelle, an welcher das Geschick der 
Unterthanen sorgsam gewogen werden sollte, zur Freistätte schamlosesten 
Lasters erklärt worden, auch nach seinem Tode häufte sich der Schmutz 
bald wieder, zu dessen Beseitigung dieser Tod Hoffnung gegeben hatte. 
Der König schien nach seiner Vermählung dem Lande ein Vorbild häus¬ 
lichen Lebens werden zu sollen. Da umlagerte ihn eine giftige Brut 
lasterhafter Menschen, die von einem geregelten Leben des Herrschers 
Verlust aller Gelegenheiten zu Macht und Erwerb fürchteten. Während 
der Verwaltung des Cardinals Fleurp vollbrachte die Bosheit das fürch¬ 
terliche Werk, den König seiner Gemahlin zu entfremden und ihn, da¬ 
mit er, zu eigener Negierung unfähig, fremdem Einstusse sich hingebe 
und seine Verderber sich mit dem Raube des Landes bereichern lasse, 
in die tiefsten Abgründe der Unsittlichkeit zu stürzen. Sein ganzes Leben 
hindurch wußte er sich, da die Freiheit seines Willens ganz vernichtet 
wurde, ungeachtet augenblicklicher guten Regungen nicht mehr emporzu- 
arbeiten. Er entwöhnte sich jeder ernsten Beschäftigung und gab es 
sogar auf, den Berathungen über Staatsangelegenheiten zuzuhören. 
Es war eine seiner vorübergehenden besseren Regungen, daß er im 
Jahre 1743 nach Fleury's Tode den Gedanken, selbst zu regieren, faßte. 
Er kehrte bald in den Taumel der unaufhörlich sich folgenden Sinnen- 
genüffe zurück, deren einer den andern überbieten mußte. Den Gipfel
	        
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