Full text: Die vorchristliche Zeit (Bd. 1)

388 Die Römer wahrend der Ausbildung ihrer Staatsverfassung 
erkennen läßt, die Deutlichkeit, womit die Verhältnisse des Staates zu 
andern Staaten hervortreten, geben seiner Regierung ein geschichtliche¬ 
res Licht, als es die vorhergehenden haben. Zwar finden sich in Be¬ 
zug auf einzelne Begebenheiten Spuren späterer griechischer Erfindung. 
So läßt man seinen jüngsten Sohn Sertus ihm die latinische Stadt 
Gabii, die nicht zum latinischen Bunde gehörte und seiner Herrschaft 
widerstrebte, unter Umständen erobern, in welchen sich die von Zopprus 
bei Eroberung Babylons angewandte List und der von dem milesischen 
Thrasybulus dem Periander gegebene Rath wiederholen. Solche Dinge 
betreffen aber nicht den Umriß, sondern die Ausführung des Gemäldes. 
Ein bestimmtes geschichtliches Ereigniß ist auch, obgleich in dem Einzel¬ 
nen der Erzählung sich innere Widersprüche finden, der Sturz des Herr¬ 
schers. Mit seiner gewaltthätig begründeten Macht sank das König¬ 
thum selbst dahin und das jüngst errichtete Gebäude römischer Herrlich¬ 
keit erlitt eine theilweise Zerstörung, aus der es nur allmälig wieder 
erstand. Das Ereigniß wird geknüpft an eine Belagerung der rutuli- 
schen Stadt Ardea. Im Lager stritten die Söhne des Königs mit 
ihrem Vetter Tarquinius Collatinus, der in dem sabinischen Collatia 
wohnte, über die Vorzüge ihrer Frauen. Ein nächtlicher Ritt nach Rom 
und Collatia entschied für Collatinus, da man dessen Frau Lucretia unter 
ihren Sklavinnen bei der Arbeit, die der übrigen bei Gelagen fand. 
Den Sertus Tarquinius verleitete die Bekanntschaft mit Lucretia zu 
einem Verbrechen gegen ihre Ehre und die an einer einflußreichen Fa¬ 
milie verübte Kränkung warf den zündenden Funken in den lange an¬ 
gehäuften Stoff der Unzufriedenheit. Lucretia berief ihren Gatten aus 
dem Lager und ihren Vater aus Rom, entdeckte ihnen die erlittene 
Schande und gab sich, um dieselbe nicht zu überleben, vor ihnen und 
den begleitenden Freunden mit einem Dolchstoße den Tod. Der Anblick 
ihrer auf den Markt gebrachten Leiche brachte Collatia in Aufruhr und 
dieser verbreitete sich nach Rom und in das Lager vor Ardea. Ein 
Beschluß der Curien entzieht dem Könige das Imperium, das Heer 
schließt mit Ardea, das doch in dem Handelsverträge mit Carthago als 
eine den Römern unterthänige Stadt erscheint, einen Waffenstillstand 
und tritt dem Curienbeschlusse bei. Tarquinius aber, dessen Gemahlin 
schon aus Rom geflohen, zieht sich mit seinen beiden ältesten Söhnen 
Titus und Aruns und einer Schaar von Getreuen nach Cäre zurück, 
während Sertus zu Gabii, wohin er sich retten will, wegen des an 
der Stadt begangenen Verrathes den Tod findet. So war das König¬ 
thum in Rom abgeschafft und die spätere Zeit betrachtete den 24. Februar 
als den Jahrestag der Königsflucht. So erhielt Rom 244 Jahre nach 
seiner Gründung, im Jahre 510 vor Ehr. Geb., zur Zeit als Hippias 
aus Athen vertrieben wurde, die Aufgabe, die Stürme, welche durch
	        
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