§. 78. Das Christenthum und seine beginnende Verbreitung. 283
welche es klar wurde, daß bei der Berufung zum Christenthum
nicht mehr das äußere, auf dem Erbsegen ruhende Vorzugsrecht,
sondern nur die innere, geistliche Befähigung gelte.
Nach achtjähriger Ruhe, während welcher die Muttergemeinde
zu Jerusalem mehr und mehr erstarkte, brach eine neue Verfol¬
gung aus, die von dem Herodes A grippa I ansgieng und
den Zeugentod des Apostels Jacobns des Altern veranlaßte.
— Deßungeachtet sollte bald darauf der Same des Evangeliums
weit über Judäa's Gränzen hinausgetragen werden. Es wurde
nämlich der Apostel Paulus, dessen Bekehrung selbst ein Wunder
der göttlichen Gnade war, von dem HErrn insbesondere berufen,
das Evangelium unter die Heiden zu bringen. Während die an¬
dern Apostel noch in Palästina zu wirken fortfuhren, durchzog
Paulus auf drei Missionsreisen unter mannigfaltigen Ge¬
fahren Kleinasien, Macedonici: und Griechenland, und stiftete
allenthalben christliche Gemeinden, deren Glieder zum größten Theile
aus dem Heidenthum waren.
Solche Erfahrungen bewogen denn auch das Apostel-Conciltum
zu I er u fa l e m (50 n. Eh.), auf den Vorschlag des Petrus und Jacobus,
zu dem förmlichen Ausspruch, daß den sich bekehrenden Heiden das Joch dcS
mosaischen Gesetzes nicht auferlegt werden solle. Dieser Beschluß wurde auch
schriftlich ausgefertigt, und zwar im Namen aller Apostel und Ältesten.
Der darin enthaltene, von der Apostelversammlung anerkannte Grundsatz, daß
„auch den Heiden Buße zum Leben gegeben" und der Eingang in das Reich
Gottes einzig durch den Glauben an das Evangelium geöffnet
scy, war also die älteste Unionsformel für Christen aus dem Juden¬
thum und aus dem Heidenthum, bis allmäblig — zum Theil noch zur Zeit
der Apostel — die innere Union für beide hcrbeigcführt wurde.
Aber Paulus sollte das Zeugniß von Christo auch in der
Hauptstadt der Welt ablegen. Bei seinem letzten Aufenthalte zu
Jerusalem wurde er auf Veranlassung der ihm aufsässigen Juden
gefangen genommen, nach Cäsarea gebracht und dort zwei Jahre
lang vom Landpfleger Felix festgehalten, bis er vor dem neuen
Landpfleger Festus Gebrauch von seinem römischen Bürgerrechte
machte und sich auf den Kaiser berief. Deßhalb ward er zu Schiffe
nach Rom gebracht, wo er während einer zweijährigen leidlichen
Gefangenschaft die dort schon früher entstandene christliche Gemeinde
ordnete und befestigte; was um so wichtiger war, weil bei dem