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römischer Bildung vertraut, suchte Theodvrich, sobald er sich in der Herr¬
schaft befestigt hatte, durch Förderung der Gewerbe und der Kultur des
Bodens, durch weise Gesetze und Volkserziehung in dieser unseligen Zeit
einen geordneteren Zustand zu begründen. Sein Ruhm war: ein Fürst
des Friedens zu sein. „Mögen andere Herrscher durch Schlachten die
Beute oder den Untergang eroberter Städte zu gewinnen suchen," so wer¬
den seine eigenen Worte angeführt, „unser Vorsatz ist es, mit Gottes
Hülfe so zu siegen, daß die Uuterthaneu sich beklagen mögen, unsere Herr¬
schaft so spät erlangt zu haben." Seine Macht kam seinem edlen Streben
gleich. „Das Leben des Theodorich bildet das seltene und verdienstvolle
Beispiel eines Barbaren, der sein Schwert im Stolze des Sieges und in
der Kraft seines Alters in die Scheide steckt." Könige und Fürsten beugten
sich seinem Worte und machten ihn zum Schiedsrichter in ihren Streitig¬
keiten. Sein wohlthätiger Einfluß erstreckte sich auch über die Grenzen
seines Reiches. Seine Gemahlin war die Schwester Chlodwig's, des Kö¬
nigs der Franken; zwei seiner Töchter waren an die Könige von Burgund
imb dem westgothischen Spanien vermählt, seine Schwestern an die Könige
der Vandalen und Thüringer. Die Fürsten verehrten ihn wie einen Vater.
Als einst Zwist unter ihnen ausbrach, schrieb er an sie: „Ihr Alle habt
Liebes und Gutes von mir empfangen; ihr seid junge Helden; mir kommt
es zu, euch zu rathen. Eure Unordnungen betrüben mich, und es ist mir
nicht gleichgültig, daß ihr euch von Leidenschaften beherrschen lasset."
Auch für Kunst und Wissenschaft ermangelte Theodorich nicht des
Sinnes und der Liebe; der gelehrte Geschichtschreiber Cassiodorus war
sein Rathgeber und sein Freund. „Er ließ aus dem römischen Recht ein
für die Gothen wie für die Römer gültiges Gesetzbuch fertigen, und zeigte
sich duldsam in religiösen Dingen. Erst kurz vor seinem Ende geschah es,
daß auch dieser weise und milde Herrscher von dem Fluch ereilt ward, der
von Anbeginn an auf dem religiösen Sekteuwesen ruhte. Noch immer
spann sich der Streit über die Natur Christi fort und das athaua-
sische und arianische Glaubensbekenutniß trennte die Gemeinschaft der
Christen. In Konstantinopel regierte zu dieser Zeit Justinus I.,
der aus niedrigem Staude zum Anführer der Leibwache sich emporge¬
schwungen und mit Hülfe einer mächtigen Hofpartei, zu welcher besonders
viele Geistliche gehörten, auf den Kaiserthrou sich erhoben hatte. Er war
der Meinung, daß das Heil des Staates von der Aufrechthaltung der ein¬
mal angenommenen Rechtgläubigkeit abhänge, und erließ die strengsten
imb härtesten Gesetze gegen oie sogenannten Ketzer, besonders gegen die
Arianer. Justinus ließ den König Theodorich, der, wie alle Gothen, dem
Arianismus anhing, auffordern, in Italien die katholische Glaubenslehre
einzuführen und die Arianer zu vertreiben. Der verständige Gothe ant¬
wortete ihm damals:
„Da die Gottheit es duldet, daß mehrere Religionen bestehen, sollen
wir es nicht wagen, eine einzige dem Volke aufzudringen. Denn wir erin¬