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8. 2. Die Oströmer oder Byzantiner, Justinian, Beli-
sar, Narses;
Ende des vandalischen Reiches in Afrika und der ostqo-
thischen Herrschaft in Italien; Heraclius; Constans II.;
Leo der Jsaurier; Irene.
Das oströmische Reich, welches nach der Hauptstadt „das byzanti¬
nische" genannt wird, begriff außer Thracien, Mösien, Macedonien, Jlly-
rien und Griechenland auch noch ganz Kleinasien bis an den Euphrat,
ferner Syrien, Palästina und Aegypten in sich. Im I. 527 bestieg hier
der Neffe des Justinus, Upranda, ein Abkömmling des deutschen Ge¬
schlechtes, das sich in Thracien niedergelassen hatte, als Kaiser den Thron.
Er nahm den Namen Justinianus (I.) an, ein Name, welcher durch
verdientes Lob, wie durch vielleicht noch mehr verdienten Tadel einen be¬
rühmten Klang erworben hat. Justinian wird häufig mit dem glänzenden
Unheilstifter des siebzehnten Jahrhunderts, mit Ludwig XIV. von Frank¬
reich, verglichen, in seinen großartigen Entwürfen und seiner Unterneh¬
mungslust, in der unermüdlichen Thätigkeit, in der Geschicklichkeit, sich
bedeutende Talente als Gehülsen und Diener an die Seite zu stellen,
und endlich in dem Frauenregiment, dem er sein Leben lang Gewalt über
sich einräumte.
Justinian bestieg den Thron unter den schwierigsten Verhältnissen.
Noch immer dauerte der Zwiespalt der Rechtgläubigen (Orthodoxen), die
sich als die allgemeine (katholische) Kirche ansahen, mit den Hetero-
doxen, die sie als Irrgläubige verdammten, mit großer Heftigkeit fort,
und der Hof nahm an diesen Streitigkeiten einen thätigen Antheil, so
wenig wahres Christenthum und Sittlichkeit auch dort zu Hanse war.
Justinian selbst liebte ein schwelgerisches Leben und that sich in diesem
keinen Zwang an. Schon als Cäsar, noch bei Lebzeiten seines Oheims,
heirathete er eine gewisse Theodora, eine Schauspielerin von den ver¬
werflichsten Sitten, aber von überlegenem Geiste, großer Klugheit und ent¬
schlossenem, kühnem Charakter. Durch Scheinheiligkeit, Schmeicheleien und
Geschenke wußte sie die orthodoxe Geistlichkeit zu gewinnen, und mit Hülfe
ihres Gemahles die entgegengesetzte Partei zu unterdrücken. Dem sitten¬
losen Hofe mußten die Feinde des Aberglaubens und der Lasterhaftigkeit
nothwendig furchtbar sein. Mit derselben Wuth, mit welcher man in
Konstantinopel die christliche Glaubenslehre verfocht, wurden auch die cir-
censischen Spiele, eine herrschende Leidenschaft des Volkes und des Hofes,
behandelt. Auch hier trennten sich die Parteien, welche nach den Farben
ihrer Wagenlenker benannt wurden. Die Orthodoxen nannte man die
Partei der Blauen, die Heterodoxen die Partei der Grünen. Fast
jedes Wettrennen endete mit einem Blutbade, an welchem die ganze Be¬
völkerung der Hauptstadt Antheil nahm. Durch die Begünstigung der