Full text: Die Geschichte des Mittelalters (Bd. 2)

93. Das Haus der Komncnen auf dem byzantinischen Throne. 479 
derer, welche eine Aenderung des Zustandes der Dinge für nothwendig 
achteten, auf einen der älteren Prinzen des regierenden Hauses, Audro- 
nikus, welcher damals in Paphlagonien in der Verbannung lebte. 
Das Leben dieses ebenso merkwürdigen als seltsamen Mannes bietet 
eine Reihe von Schicksalen dar, wie sie selten in dem Leben eines 
Mannes sich vereinigen. Andronikus war der zweite Sohn Isaak's, 
des jüngsten der Söhne des Kaisers Alexius Komnenus I. Er war 
ein Mann von einer überaus schönen Gestalt, einer ungewöhnlichen kör¬ 
perlichen Größe und von einer seltenen Kraft; gewandt in allen Leibes¬ 
übungen, unermüdlich in der Ertragung von Mühseligkeiten und Be¬ 
schwerden, unerschrocken in Gefahren, und diese Eigenschaften, sowie die 
Geistesgegenwart, welche selbst in den bedenklichsten Lagen ihn nicht ver¬ 
ließ, machten ihn zum trefflicheu Krieger. Eine tiefe Verachtung des 
menschlichen Geschlechtes, die durch die Erfahrungen, welche seine Zeit 
täglich ihm darbot, genährt wurde, bildete die Grundlage seines Cha¬ 
rakters. Er mißbrauchte feinen Witz, um durch bittere Spöttereicu zu 
verwunden, und je mehr er sick selbst nachsah, desto schonungsloser war 
er gegen die Schwächen und Gebrechen Anderer. Keine Leidenschaft be¬ 
herrschte ihn mit größerer Gewalt, als der Ehrgeiz, und es läßt sich 
nicht bezweifeln, daß Andronikus ebenso wie sein Vater, welcher es ge¬ 
wagt hatte, dem Kaiser Johannes Komnenus den Thron streitig zu 
machen, schon sehr früh die kaiserliche Krone zum Ziele seiner Bestre¬ 
bungen sich gesetzt hatte, denn schon Kaiser Manuel ließ ihn wegen 
verrätherischer Verbindungen mit dem Könige (Geisa) von Ungarn, 
zum Zwecke, sich auf den Thron zu schwingen, ins Gefängniß werfen, 
worin er 9 Jahre schmachtete und mehrere Versuche zu entfliehen, hatten 
nur die Folge, daß er sorgfältiger bewacht und mit größerer Strenge 
behandelt wurde. Einmal gelang es ihm, durch einen verborgenen unter¬ 
irdischen Gang aus dem Thurme des großen Palastes, in welchem er 
gefangen gehalten wurde, zu entwischen; vergebens suchte man den 
Flüchtling nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in verschiedenen 
Seehäfen und vergebens waren die Nachforschungen, welche die Statt¬ 
halter der Provinzen auf den Befehl des Kaisers anstellten; man be¬ 
mächtigte sich endlich der Gattin des Andronikus, indem man sie der 
Theilnahme an der Flucht ihres Gemahls beschuldigte und sperrte sic 
in demselben Gefängnisse ein, aus welchem Andronikus nicht lange zuvor 
entflohen war. Andronikus war aber, während jene vergeblichen Nach¬ 
forschungen angestellt wurden, noch in der Nähe seines ehemaligen Ge¬ 
fängnisses und besuchte, ohne daß es einer der Späher, welche ihm 
nachstellten, gewahr wurde, täglich vermittels desselben unterirdischen 
Ganges, welchem er seine Freiheit verdankte, seine Gattin. Erst nach 
einiger Zeit fand er Gelegenheit, aus den Mauern von Constantinopel 
zu entkommen und begab sich nach Kleinasten, wurde aber erkannt, er¬ 
griffen und wieder nach Constantinopel geliefert, wo man ihn in dem¬ 
selben Thurme, aus welchem er entflohen war, in ein festeres Gefäng¬ 
niß brachte und ihm doppelte Fesseln anlegte. Und doch täuschte er die
	        
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