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Dritter Zeitraum des Mittelalters: 1096—1273.
Wachsamkeit seiner Wächter. Durch einen Sclavcn, welcher ihm, als
er sich hatte krank melden lassen, zur Aufwartung gegeben wurde, ver¬
schaffte er sich Abdrücke der Schlüssel seines Gefängnisses in Wachs
und brachte diese in die Hände seiner Gattin und seines Sohnes Ma¬
nuel, welche nach jenen Abdrücken Nachschlüssel machen ließen und diese
Schlüssel, sowie die übrigen Mittel zur Flucht, dem Andronikus über¬
sandten, wozu die Gefäße benutzt wurden, in welchen dem Gefangenen
täglich Wein gebracht wurde. In einer Nacht, während die Wächter
schliefen, öffnete Andronikus die Thüren seines Gefängnisses und ließ
sich, als er die gelegene Zeit dazu fand, vermittels eines Strickes,
welchen ihm seine Gattin- und sein Sohn übersandt hatten, von der
Mauer des großen Palastes herab, bestieg ein Fahrzeug, welches bereit
gehalten wurde und ward von demselben nach seiner Wohnung gebracht.
Auch auf dieser kurzen Fahrt entging Andronikus den Nachforschungen
derer, welche ihm nachspühten, nur durch seine Geistesgegenwart, indem
er sich, als er eingeholt wurde, für einen entlaufenen und wieder cin-
geholten Sclavcn seines Schiffers ausgab, diese Rolle mit großer Ge¬
schicklichkeit spielte und vornehmlich die -Furcht vor der Züchtigung, welche
ihm bevorstände, so täuschend darznstellen wußte, daß der Wächter,
welcher ihn bewachte, zum Mitleiden gerührt wurde und die Flucht des
Andronikus beförderte. Erst in seiner Wohnung entledigte er sich völlig
seiner Fesseln, verließ dann unerkannt die Stadt, bestieg außerhalb der¬
selben ein Pferd, welches für ihn bereit stand und entkam glücklich nach
der thracischen Stadt Anchialns. Darauf begab er sich auf den Weg
nach Halitsch, in der Hoffnung, bei Iaroslaw, dem russischen Fürsten
dieser Stadt, Schutz und Beistand zu finden. Dahin aber gelangte er
nicht ohne Gefahr, indem die Walachen sich seiner bemächtigten und be¬
schlossen, ihn dem Kaiser Manuel auszuliefern; er rettete sich jedoch
auch dieses Mal durch List, indem er auf eine täuschende Weise sich
krank stellte, an heftigen Schmerzen des Unterleibes zu leiden vorgab
und durch dieses Vorgeben sich die Erlaubniß verschaffte, von Zeit zu
Zeit von seinen Begleitern sich zu entfernen. Auf solche Weise ent¬
schlüpfte er in einer Nacht den Walachen, welche, als Andronikus zu
lange ausblieb, ihm nachgingen, aber nichts fanden als den Stock,
welcher ihrem Gefangenen zur Stütze gedient hatte und von ihm mit
feinem Oberkleide und seinem Hute auf eine solche Weise bedeckt und
im Boden befestigt war, daß dieses Trugbild dieselbe Stellung darbot,
in welcher die Walacheu kurz vorher den Andronikus gesehen hatten;
dieser aber war schon in die benachbarte Waldung entflohen. Nach
einer vorübergehenden Aussöhnung mit Kaiser Manuel, dem er wichtige
Dienste in einem Kriege gegen Ungarn leistete, entzweite er sich von
Neuem mit ihm, als der Kaiser die Thronfolge seinem Schwiegersöhne,
einem ungarischen Prinzen, der den Namen Alexius angenommen hatte,
zuwcnden wollte. Manuel entfernte den unbequemen Andronikus aus
der Hauptstadt, indem er ihm die Statthalterschaft von Cilicien und
Zsaurien übertrug. Andronikus aber betrachtete diese Statthalterschaft