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I. Die Israeliten.
Auf diese Kunde verließ David das Land der Feinde und zog nach
Hebron im Gebiete seines Stammes, welcher den durch Thaten und
Leiden vielgeprüften Helden als König anerkannte. Im Norden, wo
Feinde weniger drängten, vielmehr friedliches Zusammenleben mit den
phönicischen Handelsstädten die dortigen Stämme den väterlichen Ein¬
richtungen und Sitten mehr entfremdet hatte, konnte Saul's Verwand¬
ter und Feldherr Abner die übrigen elf Stämme für Jsboseth, einen
noch übrigen Sohn des gefallenen Königs, gewinnen, daß sie ihn zum
Herrscher annahmcn. Die Folge dieser Trennung war ein Bürger¬
krieg, den die Philister glücklicher Weise nicht benutzten, in dessen Ver¬
laufe David aber auch unter den Gegnern immer mehr Anhänger ge¬
wann. Entschieden wurde der Streit dadurch, daß Abner, von Jsboseth
durch einen Vorwurf beleidigt, zu ihm überging. Abner wurde zwar
von Joab, dem Feldhauptmann David's, dessen Bruder er erschlagen,
getödtet, so daß David der Hülfe dieses einflußreichen Mannes beraubt
war, aber auch die Saul'sche Partei hatte in ihm ihre beste Stütze
verloren; endlich wurde der schwache und unthätige Jsboseth von zweien
seiner Hauptleute, die sich damit Dank bei David zu verdienen glaub¬
ten, ermordet. Dieser ließ die Mörder hinrichten, ärntete aber doch
die Frucht ihrer That; er wurde jetzt, achthalb Jahre nach Saul's
Tode, von den Aeltesten aller Stämme feierlich zum König über das
ganze Volk eingesetzt.
Das Vertrauen, welches ihn auf diesen Platz hob, rechtfertigte er
im vollsten Maße. David gehört zu den Königen, welchen schon durch
die Eigenschaften, die sie in den Kämpfen um den Thron entwickelt
haben, die Herzen der Völker entgegenkommen. Drei Dinge waren es,
durch welche David sich vom Hirten zum Volksführer cmporgehoben
hatte, Vertrauen zum Gott Israels, Schwert und Saitenspiel; und
mit diesen drei Kräften wirkte er auch als König und brachte die in
seinenl Volke liegenden Fähigkeiten schnell auf eine große Höhe. ^Bei
aller großartig schassenden Geistesthütigkeit und allem Adel der Seele
war David doch nichts weniger als frei von Fehlern und Sünden,
welche die israelitische Geschichtschreibung ohne alle Rücksicht anfdeckt,
und wohl durch nichts so sehr den ihr oft gemachten Vorwurf der
Parteilichkeit entkräftet, als durch diese Offenheit über einen ihrer ersten
Heroen. Der schwärzeste Flecken in seiner Geschichte ist die Art, wie
er die schöne Bathseba gewann. Er verführte sie nicht nur zum Ehe¬
bruch, sondern gab auch ihren Mann, den Uria, verräterisch dem Tode
preis, und nahm sie dann zum Weibe. ■ Daß eine solche Missethat
nicht ungeahndet bleibe, trat unerschrocken der Prophet Nathan vor den
König, und verkündete ihm, Jehovah werde ihm zur Strafe Unheil er¬
wecken in seinem Hause, und Schmach erleben lassen an seinen Weibern.
Da bekannte David in reuevoller Gemüthsstimmung, die uns der da¬
mals gedichtete 50. Psalm aus das anschaulichste kennen lehrt, daß er
schwer gesündigt habe; und beide, der Prophet und der König, bewie¬
sen, daß, so lange diese Gesinnung herrsche, Israels Volk nicht ver¬