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IV. Die Inder.
bedeutende Anzahl von Brahmanen zu speisen und auf alle Weise zu
ehren. Asoka's Vater unterhielt deren 60,000, und so auch er selbst
im Aufauge seiner Regierung. Wollten die Brahmanen die höchste Ehre
genießen, zu welcher ihre Geburt sie befähigte, so mußten sie sich dem
Studium der Veda's insbesondere widmen und dem damit verknüpften
Anachoretenlebcu. In diesem Falle war höchste Sittenreinheit und Tu¬
gend, letztere in dem stärkst-ascetischen Sinne, ihr Hauptrequisit. Ehrgeiz
sowohl als auch heilige und würdige Motive haben von jeher und selbst
jetzt noch Brahmaneu in diese reine und ehrenvolle Bahn geführt; al¬
lein eben so häufig, oder vielmehr noch häufiger, trieben sie sich au den
verderbten indischen Höfen der Fürsten und anderer Großen herum,
wie insbesondere die indischen Dramen zeigen.
Die Kriegerkaste, ursprünglich Kshatra (£«'■d-goi bei Arrian
als Volksnamc), später Ksliatrija. Ihre Beschäftigung ist der Kriegs¬
dienst. Sie hatten der Theorie nach das Vorrecht, daß die Könige aus
ihrer Kaste stammen mußten. Wie wenig dies im Leben galt, ist schon
bemerkt. Nach den Puraueu ist'die Kriegerkaste schon seit langer Zeit
ausgerottct. Manu's Gesetzbuch erlaubt aber den Kshatrijas im Fall
der Noth auch die Betriebsamkeit der Vaisjas.
Die Kaste der Ackerbauer und Handelsleute, Vaigas, ursprünglich
vigas, umfaßte ursprünglich wohl die ganze freie Bevölkerung, in so fern
sie nicht zu den beiden ersten Kasten gehörte. Ackerbau war ohne Zwei¬
fel deren Hauptbeschäftigung, und durch Sitten und Gesetze geehrt und
sehr geschätzt. Mit Ackerbau war natürlich Viehzucht verbunden; viel¬
fach widmeten sich die Vaisjas auch dieser allein. Eben so standen
ihnen tiefer liegende Beschäftigungen, selbst die der Qüdräs offen.
Die vierte Kaste bilden die Oüdras. Der Theorie nach ist ihre
Verpstichtuug Dienst bei den Zwiefach-geb ornen (d. i. den drei
oberen Kasten), am verdienstlichsten der bei den Brahmanen. Diese sol¬
len alsdann für ihren Unterhalt sorgen; kann der ^üdras aber nicht
durch diesen Dienst bestehen, so erlaubt ihm das Gesetz Handarbeiten
und andere Arten von Erwerb; jedoch soll er sich keine Schätze erwer¬
ben, selbst wenn er die Fähigkeit dazu hat. Von dem Lesen und Hö¬
ren der Veda's, welche auf die drei oberen Kasten beschränkt sind, sind
sie ausgeschlossen, eben so von der Darbringung von größeren Opfern,
jedoch nicht von kleineren für sich selbst. Dies alles hat sich natürlich
umgcwandelt, seitdem die Qüdräs den bei Weitem größten Bestandtheil
des indischen Volkes — ausschließlich der noch unter ihnen stehenden
Volksabthcilungen — bilden. Sie treiben seit der Zeit Ackerbau und
alle Arten von Gewerben. Sie theileu sich in eine Menge von Zünf¬
ten, welche unter einem Obcrhaupte stehen, und eine gewisse Art von
Jurisdiction unter sich haben.