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13. Zwei Gespräche.
Ich stand einmal des Morgens im Dorfe an dem Kreuzwege,
>vo der eine Weg gleich in die Schule führt, der andre aber links nach
der Kirmeswiese. Es war schönes Wetter. Da hörte ich zwei Knaben
folgendes sprechen:
„Guten Tag, Karl!"
„Guten Tag, Michel!" —
„Wohin gehst du, Karl?"
„In die Schule, Michel." —
„Ei was! In der Schule ist's garstig, da muß man lernen;
draußen auf der Wiese sollst du einmal sehen, da ist's jetzt hübsch!
Komm, wir wollen dahin spielen gehen, Karl!"
„Am Abend, Michel; jetzt geh' ich lernen, ade!"
„Meinetwegen, geh du arbeiten, Karl, ich geh' spielen; ade!"
Zwanzig Jahre danach stand ich in demselben Dorfe an der¬
selben Stelle. Es war ein böser, kalter Wintertag. Ein blasser,
ärmlich gekleideter Mensch klopfte an der Tür des Schulhauses an.
Der Lehrer, ein junger Mann, öffnete sie, und ich hörte nun die beiden
folgendes sprechen:
„Guten Tag, lieber Herr!"
„Guten Tag, lieber Mann!"
„Ach Herr, erbarmt Euch meiner!"
„Was verlangt Ihr denn von mir?"
„Arbeit, Herr! Ich will Euch die Schulstube fegen, ich will
Euch die Ofen heizen oder ähnliche Dienste tun. Nehmt mich auf!"
„Könnt Ihr denn nicht bessere Arbeit tun als die?"
„Nein, Herr!"
„Warum denn nicht?"
„Ich habe nichts gelernt."
„Wie heißt Ihr?" — „Ich heiße Michel, Herr!"
„Kommt herein, Michel, draußen ist's heute garstig, in der Schul¬
stube ist's warm. Da werdet Ihr hoffentlich auch jetzt noch etwas
lernen." —
Sie gingen beide hinein, und die Tür wurde wieder geschlossen.
Der um Arbeit bettelnde Mann wußte in jenem Augenblicke noch
nicht, wer der freundliche Lehrer war. Wir wissen es.
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