vom deutschen Boden verjagt war und unsere Truppen in Paris siegreich
eingezogen waren, hatte immer mächtiger die Sehnsucht nach der Einigung
zum Deutschen Reich unter Deutschem Kaiser die Herzen erfüllt und
erhoben. Deutsche Geschichtsforschung und deutsche Sprachwissenschaft
hatten dem Volke das Bewußtsein seiner Größe und Würde gegeben; in
der Wiederherstellung ehrwürdiger Bauwerke, des Cölner Doms und der
Marienburg, hatte sich das Nationalgefühl zuerst betätigt. Diese Vater¬
landsliebe, die Wissenschaft und Kunst im Gemüte unseres Volkes gepflegt,
und die Wehrkraft, die weise Regierungen durch vorsorgliche Einrichtungen
gestärkt hatten: sie befähigten uns, den begehrlichen Feind von neuem
niederzuwerfen und die Wiedererrichtung des Reiches zu erwirken. In
unablässiger Arbeit, in langem Harren und Hoffen war die Volkskrast
allmählich gereift; zuweilen hatte es in der Spaltung und dem Hader
der Stämme und Stände geschienen, als sei das Ziel verloren und un¬
erreichbar. Aber man täusche sich nicht über deutsche Art: ihr ist es
fremd, sich durch schnelle Eindrücke, ohne sie auch nur auf ihre Wahrheit
zu untersuchen, bis zur Verblendung beherrschen zu lassen; ja selbst gegen
edle Anregungen verhält sie sich zuweilen mißtrauisch und ablehnend;
sie sucht und behauptet sogar Unterschiede in kleinlicher Besonderung.
Sobald aber tiefe, ergreifende Empfindungen hinausheben über das
kleinliche Alltagsleben und an heilige Überzeugungen rühren, in denen
die höchsten Güter beruhen, dann brechen in Deutschland alle hemmenden
Schranken, und das ganze Volk ist einig zu opferwilliger Tat. Was die
Dichter als des Volkes Heil und Verlangen in treuer Begeisterung be¬
sungen, was die Volksvertreter in der Frankfurter Nationalversammlung
vorzeitig, weil machtlos, erstrebt hatten: in kriegerischem Aufschwünge,
durch die zerschmetternde Antwort, die die beleidigte deutsche Ehre dem
dritten Napoleon in Heldentaten ohnegleichen auf seine Herausforderung,
seine maßlose Überhebung erteilte: so erst, zum zweitenmal angesichts
der feindlichen Hauptstadt, ward das Ziel erreicht, das Einigungswerk
vollbracht. „Straßburg und Metz, in Zeiten der Schwäche dem Vater¬
lande entfremdet, waren wieder zurückgewonnen, und das deutsche Kaisertum
war neu erstanden," darin faßt Feldmarschall von Moltke mit Recht
die Errungenschaften des Krieges zusammen.
So ward die Kaiserwürde neu geschaffen: kein höheres und wert¬
volleres Ziel des großen Krieges ist denkbar. Die Kaiserwürde ist das
Wahrzeichen und zugleich das Gebot der Einigkeit unter den deutschen
Stämmen, der Bürge für die sieghafte Kraft des deutschen Volkes.
Ebendies bezeugt gerade der kriegerische Charakter dieser Verkündigungs-
feier: so prunklos, so schlicht sie verlief — was gab ihr dennoch ein
unvergleichliches, ein unvergängliches Gepräge? In der Hochburg fran-
zösifchen Herrscherübermuts wurde sie gefeiert, und unter den siegreichen,
zerschossenen Fahnen, die sich über ihm neigten, nahm der Kaiser Treu-