DaS Königreich Spanien. 
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Krankheit Einhakt zu thun, so trugen jene doch wenigstens den 
Charakter der Vernunftmäßigkeit. So verfährt man in Spanien 
nicht immer, sondern nimmt zu den abergläubischsten Mitteln oft 
seine Zuflucht. Als vor fast 30 Jahren in Sevilla das gelbe Fie, 
ber ausbrach, suchte man es zuerst durch ein neuntägigcö Gebet 
zu beschwören, das in der Hauptkirche gehalten wurde, indem 40 
Männer die Bußpsalmen sangen, Da das nichts half, beschloß 
die hohe Obrigkeit, ein anderes Mittel anzuwenden. Ein Stück 
Holz, das die ehrlichen Leute für ein Stück vom Kreuze deS Er¬ 
lösers halten, und das in der Domkirche heilig verwahrt wird, 
wurde in feierlicher Prozession nach dem höchsten Thurme der 
Stadt getragen, und ganz oben befestigt, damit cs durch seine 
Erscheinung die böse Luft vertreibe. Die ganze Bevölkerung 
strömte herbei, und lag, zu ihm emporblickend, auf den Knien. 
Und der Erfolg? Er war so, wie er immer ist, wenn der Mensch, 
statt im Vertrauen auf Gott seine Vernunft zu gebrauchen, aber¬ 
gläubische Mittel anwendet. Das Gift der Krankheit war durch 
das Zusammendrängen der Menschen bei der Prozession noch mehr 
verbreitet worden, und nach wenigen Tagen schon war fast keine 
Familie mehr verschont. 
Sevilla ist vorzugsweise reich an Klöstern. Der Nonnenklö¬ 
ster allein giebt es hier 29, und da die Nonnen, welche einmal 
Profeß gethan haben, nie wieder ins Leben zurücktreten können, 
so ist die Lage der Unglücklichen, die den einmal gethanen Schritt 
nachmals bereuen, wahrhaft verzweiflungsvoll; denn das ganze 
Leben müssen sie zwischen den öden Klostermauern vertrauern. 
Man sollte es für unmöglich halten, daß ein junges Mädchen von 
16 Jahren sich entschließen könnte, ihr ganzes übriges Leben so 
hinzuopfern. Aber von Kindheit auf wird ihnen vorgeredet, wel¬ 
ches große Verdienst es sey, sich — wie sie es nennen — Gott 
ganz zu weihen; nur dadurch können sie Gott ihren Dank bezeu¬ 
gen, und einst im Himmel die höchste Stufe der Seligkeit errei¬ 
chen. Merkt nun der Beichtvater, daß das Mädchen den leisesten 
Wunsch hat, den Schleier zu nehmen, so läßt er sie nicht mehr 
zur Besinnung kommen, und bestürmt sie so lange, bis sie ein¬ 
willigt. Die Eltern, die allerdings vor dem Entschlüsse der Toch¬ 
ter erschrecken mögen, wagen nicht, sich — wie sie meinen — 
zwischen Gott und die Tochter zu stellen, und dem Himmel eine 
Braut zu rauben. Um nun recht viele anzulocken, wird die Ein¬ 
kleidung einer Nonne mit großer Feierlichkeit begangen. Sobald 
das Mädchen das Kloster bestimmt hat, in daS sie treten will, 
so wird sie von den Klosternonnen wie eine Braut angeredet, und 
mit der größten Auszeichnung behandelt. Für den Tag ihrer Ein¬ 
kleidung werden die festlichsten Zubereitungen gemacht. Man klei¬ 
det sie prächtig an, behängt sie mit allen Kostbarkeiten, welche 
die Familie besitzt, nimmt so von ihren Freundinnen, welche ih-
	        
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