Das Großherzogthum Toscana.
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Worten sein Schicksal, daß ihm nicht vergönnt sey, wonach er
sich einzig sehne, als tapferer Soldat in der Schlacht zu sterben.
,,Ach!" rief er aus, „voll Trauer und Schmerz ist meine Brust!
Meine Hände sind von starken Banden gefesselt!// Dagegen trö¬
stete ihn der Sänger auf dem Brückengeländer: „Sey getrost,
lieber Bruder! Bedenke, wie viele edle Helden schon Banden tru¬
gen, und du besitzest noch überdies die göttliche Gabe der Dich/
tung, die dein Herz mit Freiheit und Wonne erfüllen muß; du
scheinst mir ein einsamer Petrarca und Torquato zu seyn." Lau/
ter Beifall tönte von allen Seiten; aber besonders auf uns, die
wir eine ähnliche Scene noch nicht erlebt hatten, fiel die ganze
Gewalt dieser aus dem Herzen quellenden Worte. Die beiden
Sänger geriethen, durch den Beifall aufgemuntert, ins größte
Feuer, und, ohne daß sie nur einen Augenblick gestockt hätten,
schufen sie ihre Verse, die fast nie ohne Rundung und hin und
wieder nicht ohne dichterisches Verdienst waren, mit bewunderns,
würdiger Kraft der Phantasie. Der Soldat besonders träumte
nur von Schlachten und Siegen, erhob die Tapferkeit des Aga¬
memnon und Achill, dagegen der Dichter auf der Mauer die Weis¬
heit des Lykurg, Minos und Homer erhob, und beide mischten
hernach den bunten Vorrath ihrer Ideen auf das sonderbarste und
crstaunenswürdigste durch einander. Da indeß der Soldat eine
nicht recht dichterische Strophe gesungen hatte, strafte ihn der
Andere, und sagte: „wenn dein Reim nicht beredter ist, so schwei¬
ge; unmittelbar voll Kunst aus begeistertem Herzen zu singen, das
ist Kraft, das ist Tugend." Hierauf erscholl wieder über diese,
recht innig vom Volke gefühlte Wahrheit lauter Beifall. Wäh¬
rend der Zeit nahm ein altes Weib dem Sänger den Hut vom
Kopfe, ohne daß sich dieser, da er eben voll Begeisterung sang,
nur umgesehen hätte, ging auf der Brücke herum, und bat:
„Gebt, ihr Herren, etwas für den armen Poeten; er hat keinen
Mund voll Brot!" Der Sänger, mit ausgestreckten Armen auf-
feurigste zum Gefangenen hinauf redend, bemerkte wirklich kaum
das Geschenkte, ein Beweis, wie sehr seine Seele hingerissen war,
da sonst ein Italiener nicht leicht einen Pfennig übersieht. An¬
dere sammelten für den gefangenen Soldaten. Als das Avemaria-
geläute ertönte, verlangte der Gefangenwärter, beide sollten en¬
digen; das Volk aber, dem dieser Kampf unendlich gefiel, gab
eS nicht zu. Die Dichter setzten ihn deshalb noch lange fort,
und, nachdem wir noch ein paar Stunden zugehört hatten, ver¬
ließen wir sie im Dunkel der Nacht, von Zuschauern reichlich
umgeben, immer im Recitativ singend." Eine herrliche Kunst¬
straße führt uns wie im Fluge in einigen Stunden nach
Livorno, südlich von Pisa. Eine große, sehr reinlich ge¬
baute Stadt, mit meist Z — 7stockigen Häusern, und einem so
schönen Straßenpflaster, daß man auf getäfeltem Boden zu gehen