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Wasserwogen begraben zn sehen. Um das zu verhindern, hat er starke und
mächtige Damme errichtet, an denen daS Ungestüm des Meeres sich bre-
chen soll.
In zahlreichen Armen windet sich der Rhein durch das Land. Wie schleicht
er zwischen seinen niedrigen Ufern so träge dahin! Ist das derselbe Fluß, der
brausend und schäumend von den Schweizer Bergen sich herabstürzte, und der
seine stolzen grünen Wogen durch unser deutsches Vaterland ergoß? Er ist es;
aber er ist ein Greis geworden, und mit Mühe nur erreicht er das Meer. —
Außerdem ist Holland von zahllosen Kanälen durchzogen. Sie sind angelegt
worden, um das Land zu entwässern, und um den Verkehr der Menschen zu er¬
leichtern. Diese Kanäle sind belebt von Kähnen, welche Waaren und Menschen
durch das Land befördern. — In der Nähe der sauberen Dörfer streifen Heer-
den gemächlich durch das Wiesenland; fleißige Menschenhände bringen das Heu
ein oder schneiden die reife Frucht der Felder. Auf hoch gebautem Damme
fährt der Wagen des Reisenden. —
Trittst du in eine Stadt oder in ein Dorf, so ist Alles still, reinlich und
nett. Der Holländer liebt saubere Kleidung. Sein Haus ist mit Blumen und
Kräutern, mit Schnörkeln und Bildern geschmückt. Die zierlichen Gärten, die
mit bunten Muscheln und Steinen ausgelegt sind, die reinlichen Dreschtennen
und Stallungen erfreuen das Auge. Bedächtig und gemächlich schreitet der
Bauer in seinen hohen Holzschuhen einher, und mit behaglicher Miene und in
langsamer, breiter Rede begegnet er dem Fremden. Wer aber meint, daß ein
Holländer sich mit der Arbeit nicht sonderlich befasse, der irrt. Seine Vorfah¬
ren sind gerade so gewesen, wie er; und doch haben sie mit Schaufel, Spaten
und Ruder ihr Land dem Meere abgerungen und haben mit unermeßlicher An¬
strengung Mauern, Thürme, Deiche und Wälle da erbaut, wo sonst Frösche,
Möwen und Rohrdommeln wohnten. Den Fleiß des Volkes kann man recht
kennen lernen in den großen Seestädten, wie Amsterdam und Rotterdam.
Sieh den Holländer am Ruder seiner Schiffe, auf denen er das Meer befährt.
Da zeigt er sich nicht bequem und langsam, sondern rasch und kräftig, wenn
auch immer besonnen.
Die große Reinlichkeit und die fast übertriebene Sauberkeit der Holländer,
ihre Blumenliebe und Blumenpflege, ihre Freude an Lunten Farben sind leicht
erklärlich. Grau, trübe und einförmig ist ihr Land; denn es ist ein Land der
Marschen, Sümpfe und Haiden, wo nur um die Dörfer und Kanäle her ein¬
zelne Banmreihen sich erheben. Das Meer, die See'n, Teiche und Gräben
machen die Luft feucht; der Himmel ist oft umnebelt; das Torf- und Marsch¬
land ist schmutzig; nur Torfstaub lagert sich über die Landschaft. Dagegen
braucht der Holländer eine Gegenwehr, und er hat sie sich bereitet durch die
Freude an dem Netten, Heiteren und Bunten, womit er sich umgiebt.
Einen merkwürdigen Anblick gewährt die Ebbe und Fluth in Holland.
Das Waffer der großen Meere steigt und fällt nämlich in regelmäßigem Wech¬
sel innerhalb 24 Stunden zweimal. Steigt es, was 6 Stunden anhält, so ist
Fluth; fällt es, was ebenfalls 6 Stunden dauert, so ist Ebbe. Wenn die
Fluth beginnt, so steigt das Meerwasser immer höher und höher, und die Was-