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und über die weite Erde und dachte an seine Jugendfreunde,
die nun besser und glücklicher, als er, und gesegnete Men¬
schen waren, und er sagte: O, ich könnte auch, wie ihr,
diese erste Nacht des Jahres mit trockenen Augen verschlum-
mern, wenn ich gewollt hätte! Ach, ich hätte glücklich sein
können, ihr theuern Eltern, wenn ich euere Neujahrs¬
wünsche und euere vielen wohlgemeinten Lehren erfüllt hätte!
In seinem reuevollen Andenken an seine Jünglingszeit
kam es ihm vor, als richte sich die Larve mit seinen Zü¬
gen im Todtenhause auf, endlich wurde sie in seiner Ein¬
bildungen einem lebendigen Jünglinge, und seine vorige
blühende Gestalt wurde ihm bitter vorgegaukelt.
Er konnte es nicht mehr sehen, er verhüllte das Auge,
tausend heiße Thränen strömten versiegend in den Schnee,
er seufzte nur noch leise, trostlos und wie von Sinnen:
Komm wieder; Jugend, komm wieder!
Und sie kam wieder: denn er hatte nur in der Neu¬
jahrsnacht so fürchterlich geträumt; — er war noch ein
Jüngling. Nur seine Verirrungen waren nicht bloß Traum
gewesen. Aber er dankte Gott, daß er noch jung war, und
von den schmutzigen Gängen des Lasters umkehren und
sich auf die Sonnenbahn der Tugend zurückbegeben konnte,
die in's reine Land der ewigen Aernten führt.
Kehre mit ihm um, junger Leser, wenn du auf seinen
Irrwegen stehst. Dieser schreckende Traum wird künftig
dein Richter werden! Aber wenn du einst jammervoll
rufen würdest: Komm wieder, schöne Jugend! — sie würde
nicht wiederkommen.
I^ebe, wie du, wenn du stirbst, wünschen wirst,
gelebt zu haben.
109. Des Vaters Vermächtniß.
Gold und Silber habe ich nicht, was ich
aber habe, gebe ich dir.
Lieber Sohn!
Die Zeit kommt allgemach heran, daß ich den Weg
gehen muß, den man nicht wieder kommt. Ich lasse dich in
einer Welt zurück, wo guter Rath nicht überflüssig ist. Nie¬
mand ist weise von der Geburt an; Zeit und Erfahrung leh¬
ren hier, und fegen die Tenne. Ich habe die Welt länger
gesehen, als du. Es ist nicht alles Gold, was glänzet, und