großen Tafel; aber was für Herrlichkeiten sind auch darauf zu finden!
Für den Falken, für die große Seemöwe, für den Austernfischer und
andere ansehnlichere Vögel schleicht dort der fette Tafchenkrebs über den
Sand, und seitwärts gehende Krabben suchen eine Wasserrinne zu er¬
reichen, oder es zappelt der platte Butt und der silberweiße Stint, von
der Ebbe überrascht, auf dem Trocknen, und Muscheln klaffen in Menge.
Für Seeschwalben, Kiebitze und Regenpfeifer wimmelt es in den Rinnen
von Garnelen, und für die ganz kleinen Strandläuferarten findet sich
noch Gewürm in Unzahl, und so wiederholt sich die ganze große Atzung
in bester Ordnung, Tag für Tag zweimal, jahraus und jahrein.
Aber auch der Mensch eilt herbei, wenn das Watt bloß liegt, um
teilzunehmen an dessen Gaben. Dort sieht man barfuß und hochgeschürzt
Männer und Frauen in den Rinnen waten, kleine Netzhamen vor sich her¬
schiebend, die sie dann und wann in umgehängte Beutel leeren. Diese
fangen die kleinen, wohlschmeckenden Krebse, Garnelen, hierzulande
„Granat" genannt, die mit Salz abgekocht eine Delikatesse zum Früh¬
stück und Nachtisch ausmachen und nach allen Städten und Hasenorten
der Gegend verschickt werden. Andere fangen in diesen Lachen und
Rinnen den Butt, einen Hauptfisch des Brackwassers.
Bei schönem, warmem Wetter sieht man auf dem Lande nicht selten
Seehunde sich behaglich sonnen. Man beschleicht sie mit guter Büchse unter
dem Winde. Früher waren sie noch viel häufiger, und die Wurster
suchten sie sogar im Schlafe zu überfallen und mit Knütteln zu erschlagen
ganz wie in den Polarländern.
Nur mit großer Umsicht und genau die Zeit beachtend, kann man
sich weiter aufs Watt hinauswagen, und mancher mußte schon seine
Unvorsichtigkeit oder Kühnheit mit seinem Leben bezahlen; denn wehe dem,
der noch weit vom höheren Lande entfernt ist, wenn die Flut eintritt!
Eben vorher kann noch alles weit und breit still und ruhig sein —
kommt der Augenblick der Flut: es erhebt sich ein frischer Wind,
das Wasser sängt an zu rauschen, zu schwellen, zu tönen. Jetzt schießt
es heran, schneller, immer schneller, rauschender, gieriger, brausender —
und nun kann kaum ein Reiter auf schnellem Rosse der gierig heran¬
wühlenden Flut entfliehen. Sicher verloren und dem entsetzlichen, all¬
mählichen Ertrinken verfallen ist der arme Fußgänger. Er eilt atemlos
dem Lande zu, schon dringt die wütende Flut durch alle Rinnen, und
in dem weiten Labyrinth verirrt er sich äußerst leicht. Schon strömt
das Wasser über den eilenden Fuß, schon erreicht es das Knie, in grauen¬
vollster Angst eilt er weiter; aber seine Eile wird gehemmt, denn die
-Juten netzen jetzt schon den Gürtel des Unglücklichen, und soweit er
späht, vielleicht alles eine wildrauschende Wasserwüste, die Menschen
hören und sehen ihn nicht, sie wohnen fern und hinter ihren sicheren
Deichen; jetzt ergibt er sich stumpf hinstarrend in sein Schicksal, denn
Tesch, Lesebuch für Mittelschulen. II. ' Iß
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