Full text: Lesebuch für hannoversche Volksschulen

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Korn und Hag verlieren, wo bunte Blumen blühen und muntere 
Vögel singen. Er kommt in den Wald. Nun schleicht er leiser, vor¬ 
sichtiger. Der Abend haucht kühl aus Halm und Blatt. Die Bäume 
hehen ihre Wipfel regungslos in die Stille; nur die Dogelkehlen sind 
noch laut. Die Drossel lockt mit Hellem Ton; die Meise schlüpft, ihr 
Liedchen schrillend, von Busch zu Busch; der Waldschreiner Specht hackt 
und hämmert am Eichenstumpf; dazwischen kreischt der Hetzer. Reineke 
ist am Rande der Waldwiese angekommen. Er lauscht. Die Blumen 
neigen ihre Kelche; da und dort summt noch ein Biene, oder ein schwer 
gepanzerter Käfer schweift behaglich brummend in geschwungenen Bo¬ 
gen dahin. 
Jetzt knackt es in den Zweigen. Der Fuchs spitzt das Ohr: ein 
Pfeifen läßt sich hören. Da tritt das Reh heraus, das Haupt keck em¬ 
porgerichtet, die Augen nach allen Seiten rollend. Wieder pfeift es, 
und -in schlankem Sprunge ist das Kälbchen der Alten zur Seite. In 
den drolligsten Sätzen tändelt es um die Mutter, ein Blatt, ein Kraut 
wie im Fluge abstreifend und dann sich niederwerfend zum Saugen. 
Die Mutter leckt ihm kosend den Nacken. Plötzlich hebt die Ricke den 
Kopf. Ihre Augen funkeln; ein Zittern fliegt über die Flanken; 
sie macht ein paar Sprünge und stampft zornig mit den Läufen. 
Es ist klar: sie hat den Räuber gewittert. Der hat sich leises Fußes 
herangestohlen, sacht, sacht, das Kitzlein unverrückt im Auge. Es 
gilt aber euren kühnen Griff. Die Alte- hat ihm soeben den Weg 
verrannt. Doch Reineke läßt sich nicht irren; er thut, als sei er in 
tiefen Gedanken. Träumerisch sinnend starrt er ins Blaue. Keine 
Miene verräth, daß er der Beute ansichtig geworden. Er verschwin¬ 
det, um in weiten Bogen von einer andern Seite den Angriff zu 
versuchen. Allein die wachsame Alte drängt sich dicht an das Junge; 
denn sie kennt des Laurers Arglist. Dort streift er vorbei. Die Ricke 
pfeift wieder, und der Fuchs schaut aus, als schrecke er plötzlich 
zusammen. Doch er ist inzwischen dem Ziele seiner Wünsche nah 
und näher gekommen. Der Augenblick ist günstig und Verstellung 
nicht mehr nöthig. Reineke duckt sich nieder; wie eine Katze schmiegt 
er sich an den Boden; der Schwanz zuckt, die Augen starren wildgie¬ 
rig auf das bebende Thier; er weist die mörderischen Zähne, hebt 
leise Fuß und Kopf zu Sprung und Biß — ein Satz — da stürzt 
sich die Mutter schnaubend auf den Räuber los, mit den Füßen ihn 
zerstampfend. Das Kälbchen ist gerettet. Reineke kehrt hinkend und 
zorngrimmig heim. 
3. Im Sommer ist des Fuchses goldene Zeit. Da zieht es 
ihn ins Feld. Dort lagern Hasen und Kaninchen, Rebhuhn, Wachtel 
und Lerche, kleine Leutchen ohne Wehr und Waffen, die ein fried¬ 
liches Leben führen. Ach, es wird ihnen übel ergehen! Der Ver¬ 
schlagene versteht zu passen und zu fassen. Umsonst'sind ihre kleinen 
Künste; er mordet bei Tag und Nacht, und seine Brut wird dreist 
und feist. Wenn er sich gütlich gethan hat, so winkt ihm auf son¬ 
niger Heide das Bienenhaus. Er springt hinan und leckt die wür¬ 
zigen Tropfen, und mag ihn das ganze Jmmenheer zürnend um¬
	        
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