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rius von dem Rheine und der Elbe auf einen anderen Kriegs¬
schauplatz abgerufen. An seine Stelle kam an den Rhein
Quintilius Varus, ehemaliger Statthalter in Syrien, der sich
gegen die armen Deutschen alle ersinnlichen Bedruckungen er¬
laubte, Geld von ihnen erpresste, sie aussog und ihre Länder
ganz nach römischer Art einzurichten suchte.
Besonders empfindlich fiel den ehrlichen Deutschen, dass
man sie nach römischen Gesetzen richten und das dasige Ad-
vocatenwesen bei ihnen einführen wollte. Wenn sie vorher
einen Streit unter sich hatten, so gingen sie zu ihrem Richter,
trugen ihm die Sache mit wenigen Worten vor, und in einer
Viertelstunde war Alles entschieden. Nun aber ging es ganz
anders. Durch die Künste der römischen Sachwalter und
Rechtsverdreher entstand über eine Kleinigkeit ein langer Pro-
cess, und die beste Sache ging verloren. Noch mehr wurden
sie empört durch den Anblick der Ruthen und Beile, die man
täglich vor ihren Augen umhertrug, und die sie, welche nie
vorher körperliche Strafe empfunden hatten, als Zeichen einer
schimpflichen Knechtschaft ansahen. Darüber ergrimmten die
Deutschen in ihrem Herzen und verfluchten die Hudeleien ihrer
Tyrannen. Noch weher mochte es ihnen thun, dass man, um
sie besser in Gehorsam zu erhalten, die hoffnungsvollsten Söhne
ihrer Fürsten als Geissei nach Rom abführte. Doch sie hatten
Unrecht, hierüber zu klagen; denn in Rom lernten erst die
edlen Fürstensöhne die Kunst, die Römer zu besiegen.
Auch Hermann (oder Arminius, wie die Römer ihn nannten),
ein deutscher Fürstensohn, war unter jenen Geissein, wurde
aber nicht als ein Gefangener behandelt, sondern durfte frei
umhergehen und wurde ganz wie ein junger Römer unterrich¬
tet. So hatte er nun Gelegenheit, die römische Kriegskunst
kennen und einsehen zu lernen, dass seine Landsleute mit ihrer
rohen Tapferkeit allein nie etwas gegen so geübte Feinde aus¬
richten würden. Um desto aufmerksamer war er auf alles, was
er sah, fest entschlossen, nach seiner Rückkehr Gebrauch da¬
von in seinem Vaterlande zu machen und seine Nation von dem
drückenden Joche der Ausländer zu befreien. Endlich schlug
die Stunde seiner Rückkehr; er langte wieder an in Deutsch¬
land, zur Zeit, da Varus es aussog und unter einem schweren
Drucke hielt. Hermann verbarg seine Gesinnungen und suchte
die Gunst und Freundschaft des Tyrannen zu erwerben, was
ihm auch vollkommen gelang. Vermuthlich hielt er es' für er¬
laubt, der Gewalt mit List zu begegnen und der Tyrannei Ver¬
stellung entgegen zu setzen. Varus machte es zu jener Zeit
ungefähr eben so, wie Kaiser Napoleon I., in neuerer Zeit. Er
nahm nämlich deutsche Truppen in sein Heer auf und suchte
ein deutsches Volk durch das andere zu unterjochen. Hermann
trat ohne Bedenken mit anderen Fürsten in seine Dienste; er
glühte dem Scheine nach von treuem Eifer und erwarb sich so
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