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Alles drängt sich, aufzuleben in verschönerter Gestalt. Frohe Vögelschaarcn
schweben singend im belaubten Wald; und Gewürme, sonder Zahl, regen sich
an Berg und Thal.
Alles athmet mit Vergnügen; Alles redet dir zum Ruhm: Vögel, die i»
Lüfte» stiege», jeder Baum und jede Blum'. Wer preist würdig deine Kraft,
die aus Winter Frühling schafft?
litt.
Der Frühling ist ein Bote des Herrn, den Jeder mit offenen Armen
willkommen heisit. Er bringt gar gute Botschaft; sie lautet: Freude und
Hoffnung!
Macht nicht der Frühling Alles fröhlich, waü da lebet? Erneuert er nicht
die Gestalt der Erde? — Schaue, wie grün Wiesen und Felder sind! Wie hier¬
ein Blümchen sein buntes Köpfchen empor hebt, dort wieder eins, als wollt' cs
sehen, ob der Schnee auch ganz weg sei, und ob die andern alle nachkommen
dürften. Es dauert nicht gar lange, so tauchen tausend Blumen auö bcm
Wiesengrün auf, die nicht blos; das Auge erfreuen, sondern auch mit süßen
Düften die Luft füllen. Welch ein schönes Leben ist allenthalben! — Alle die
Vögel, die während des Winters uns verlassen hatten, kommen wieder, grüßen
den Frühling und den guten Gott, der ihn sendet, mit neuen Liedern und
bauen sich Nestchen in dem jungen Grün. Und wie regt sich'S hier auf der
Wiese von Käfern und Gewürmen, die sich alle ihres Lebens freuen! Siche
den Schmetterling, der dort auf der Blüthe seine Flügel auf- und zuklappt;
und hier das Bienchen, das in die Blume kriecht und schaue» will, ob ihm der
Schmetterling auch etwas gelassen habe. Horch! der Frosch meldet sich im Teiche,
daß er aus dem Winter-schlafe erwacht ist. Alles ruft dir zu: Freue dich mit
uns! Alles zeigt dir an, daß der liebe Gott frohe Seelen gern hat. Darum
ist der Frühling ein Bote der Freude.
Auch der Hoffnung! — Frage nur den Landman», der dort feine Samen
streut, und den andern, der fein Saatfeld betrachtet; die werden dir's erklären,
warunl der Frühling uns zur Hoffnung aufrufet. Zwischen dem Samenkorn
und der reifen Aehre liegt manche kalte Nacht, mancher heiße Tag, die daö
Körnlein vernichten können; aber der AkkerSmann bestehlt feine Saaten in
Gottes Hände: darum hofft er ihr Gedeihen. Frage das Vöglein, das dort
fein Nest bauet; wenn'S reden könnte, würde es sagen: Ich will bei euch wohnen;
denn ich hoffe, der liebe Gott wird auch dies Jahr für mich und meine Kleinen
den Tisch beffe». Und der Baum würde sagen: Ich treibe Blätter und Blüthen;
denn ich hoffe, der Herr wird Frühregen und Spatregen geben, daß die Blätter
groß werden und die Blüthen Frucht bringen. — Aber sieh! jetzt öffnet der
Frühling ganz leise das Kirchhofthor; was mag er doch wollen? — Gr schauet
hinein und zählt, wie viel neue Gräber dazu gekommen sind; dann geht er still
über die Gräber weg, streut Blumen über die alten, und beffi Rasen auf die
neuen, und dazu spricht er: Schlafet nur, ihr Todten! Es kommt wohl ein