Full text: Deutsches Lesebuch für die oberen Abtheilungen ein- und mehrklassiger Elementarschulen in der Stadt und auf dem Lande

284 
Bald zieren sie im fernen Westen 
Des leichten Bretterhauses Wand; 
Bald reicht sie müden braunen Gästen, 
Voll frischen TrunkeS, eure Hand. 
Es trinkt daraus der Tfcherokefe, 
Ermattet, von der Jagd bestaubt; 
Nicht mehr von deutscher Rebenlese 
Tragt ihr sie heim, mit Grün belaubt. 
O sprecht! warum zogt ihr von dannen? 
,DaS Nekkarthal hat Wein und Korn; 
Der Schwarzwald steht voll finstrer Tannen; 
Im Spessart klingt deö AelplerS Horn. 
Wie wird es in den fremden Wäldern 
Euch nach der Heimathberge Grün, 
Nach Deutschlands gelben Waizenfeldern, 
Nach seinen Rebenhugeln ziehn! 
Wie wird das Bild der alten Tage 
Durch eure Träume glänzend wehn! 
Gleich einer stillen, frommen Sage 
Wird es euch vor der Seele stehn. 
Der Bootsmann winkt! — Zieht hin in Frieden! 
Gott schütz' euch, Mann und Weib und Greis! 
Sei Freude eurer Brust beschiedc», 
Und euren Feldern Reis und Mais! 
Der Ansiedler in Kanada. 
Wenn mir die Wahl gegeben würde, brächte ich meinen Sommer in der 
Schweiz, meinen Frühling an den Ufern der Loire, meinen Winker in Portugal 
oder Italien hin; aber ich kenne kein Land, dessen Herbst sich mit dem inmitten 
der Wälder Oberkanadas auck nur im entferntesten vergleichen dürfte. Denen 
freilich, die nie fern von geselligen Vergnügungen gelebt haben, müssen die Freuden 
eines kanadischen Herbstes arm und gefchmakkloS erscheinen; denn nur der ist im 
Stande, sie zu fühlen, welcher sich an dem wechselnden Gemälde der Natur erfreuen 
kann.. Nirgends aber ist der Wechsel der Jahreszeit so rasch und so wunderbar, 
wie in der westlichen Welt. Um sie zu schauen, um sich ihrer in ihrer ganzen 
Prackt zu erfreuen, muß man ganz in den Wäldern abgeschlossen sein. 
Der Uebcrgang vom Sommer zu dem Herbst geschieht allmählig, lind und 
wonnig, während der Frühling aus dem öden Düster des Winters mit dem Un¬ 
gestüm hervorbricht, mit welchem die Sonne schwarze Wolken zerreißt und über 
sie und die Erde ihren Glanz niederströmt. Die eine Woche ist Alles nakkt, leer, 
öde, trostlos; in der nächsten sind die Felder in Grün gekleidet," Blumen durch¬ 
brechen die Knospen, die Bäume des Waldes schaukeln ihre belaubten Aeste, und 
Alles, was da lebt und athmet, freut sich wie neugeboren des jungen Lebens — 
überall Neues, überall Leben, überall Lust. Eine dritte Woche ist dahin, und wir 
erfreuen unö der prachtvollen Psianzenwelt und fühlen eine kräftigende Wärme. 
Aber cs ist unmöglich, das Plötzliche, daö Ueberraschende deö Wechsels auszu- 
drükken. Man muß es gefühlt, man muß eö gesehen haben, um sich eine Vor¬ 
stellung davon zu machen. 
Der Hcrbsi dagegen kpmmt mit langsamen, zagenden und schüchternen 
Schritten heran. Während die Gluth der Sonnenstrahlen ihre Kraft allgemach
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.