Full text: Deutsches Lesebuch für die oberen Abtheilungen ein- und mehrklassiger Elementarschulen in der Stadt und auf dem Lande

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87. Lohn der Bescheidenheit. 
Ein reicher Mann thät in seinem Garten mit eig'ner 
Hand der Blumen warten, und wie er dort bei seinen Beeten 
stand, er ein schon längst verlor'nes Goldstükk wiederfand. 
Was soll es ihm? — Er ist ein Freund von Schwänken — 
will's einem seiner vielen Diener schenken; doch macht er sich 
ein Späschen noch dabei: wollt' seh'n doch, wer der Beste 
unter ihnen sei. Darum versammelt uni sich her er Alle, 
vom Kammerdiener bis zum Knecht vom Stalle. Derjenige 
von ihnen soll es ha'n, der ihm die besten Dienste schon ge¬ 
than. Das Goldstükk lokkt, — bereist sind alle Zungen, und 
bald hat Jeder sich ein Loblied selbst gesungen; nur Steffen 
noch allein, der alte Kutscher, schweigt, bis endlich Blikk und 
Wort deö Herrn sich zu ihm neigt: „Nun, Steffen, hast denn 
du mir gar Nichts vorzubringen? Kannst du zu eignem Lob 
nicht auch ein Liedchen singen?" — „Nein, Herr, wie kann 
ich das?" — der alte Steffen spricht, — „waö ich bis jetzt 
gethan, das war auch meine Pflicht; dafür bekomme ich seit 
zwanzig Jahren schon, wie es sich Wohl gebührt, von Ihnen 
Brot und Lohn, mit) oft genug auch noch, bei meiner Treu 
manch' schönen Thaler nebenbei." — Die Rede freut den Herr»: 
gar sehr, blikkt lächelnd in dem Kreis' umher und that, daö 
Goldstükk in den Händen, sich schalkhaft zu den Andern wenden: 
„Die Dienste, die ihr alle mir gethan, ich mit dem einen Gold¬ 
stükk nicht belohnen kann; zu wenig ift's; dem Steffen will 
ich's geben, und euch der Müh' des Denkens überheben. Ihr 
müßt nun schon so lange warten, bis ich dereinst in meinem 
Garten so viel des Goldes treffe an, daß ich euch würdig 
lohnen kann." 
88. „Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten!" 
Dieser Spruch steht im Briefe Pauli an die Galater, und der 
Apostel fügt noch hinzu: „Waö der Mensch säet, daö wird er 
erudteu!" 'Daö bestätigt sich denn im Leben auch oft genug, und 
wir sehen gar häufig, wie dem Gerechten sein Wohlthun, und dem 
Sünder seine llebelthat schon auf Erden vergolten wird. Nun ist 
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