Full text: Deutsches Lesebuch für die oberen Abtheilungen ein- und mehrklassiger Elementarschulen in der Stadt und auf dem Lande

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Ein reisender Soldat stieg bei dem Quell von seinem Pferde und 
trank. Kaum war der Reiter fort, so lief ein Knabe von der 
Heerde nach einem Trunk an diesen Ort. Er fand den Geldsakk 
bei der Quelle, der Jenem hier entfiel; er nahm ihn uub entwich; 
worauf nach eben dieser Stelle ein Greis gebükkt an seinem Stabe 
schlich. Er trank und setzte sich, um auszuruhen, nieder; sein 
schweres Haupt sank zitternd irr das Gras, bis eS im Schlaf des 
Alters Last vergaß. Indessen kam der Reiter wieder, bedrohte diesen 
Greis mit wildem Ungestüm, und forderte sein Geld von ihm. — 
Der Alte schwört, er habe Nichts gefunden ; der Alte fleht und weint; 
der Reiter flucht und droht und sticht zuletzt mit vielen Wunden 
den armen Alten wüthend todt. 
AlS Moses dieses sahe, siel er betrübt zur Erden; doch eine 
Stimme rief: „Hier kannst du inne werden, wie in der Welt sich 
Alles billig fügt; denn wisst: es hat der Greis, der jetzt im Blute 
liegt, des Knaben Vater einst erschlagen, der den verlornen Raub 
zuvor davon getragen. 
90. DaS Testament. 
„Sohn!" sing der Vater an, indem er sterben wollte, „wie 
ruhig schlief' ich jetzt nicht ein, wenn ich nach meinem Tod dich 
glükklich wissen sollte! Du bist eS werth, und wirst eS sein. Hier 
hast du meinen letzten Willen. Sobald du mich in's Grab gebracht, 
so brich ihn ans, und such' ihn zu erfüllen, so ist dein Glükk gewiß 
gemacht. Versprich mir dies, so will ich freudig sterben." 
Der Vater starb, und kurz darauf brach auch der Sohn das 
Testament schon auf, und laö: „Mein Sohn! bu wirst von mir 
sehr wenig erben, als etwa ein gut Buch, und meinen Lebenslauf; 
den setzt' ich dir zu deiner Nachricht auf! Mein Wunsch war meine 
Pflicht. Bei tausend Hindernissen befliß ich stets mich auf ein 
gut Gewissen. Verstrich ein Tag, so fing ich zu mir an: der Tag 
ist hin, hast du waö Nützliches gethan? Und bist du weiser, als 
am Morgen? Dies, lieber Sohn, dies war mein Sorgen. So 
fand ich denn von Zeit zu Zeit zu meinem täglichen Geschäfte mehr 
Eifer llnd zugleich mehr Kräfte, ititb in der Pflicht stets mehr Zu¬ 
friedenheit. So lernt' ich mich mit Wenigem begnügen, imb stekkte 
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