Full text: Deutsches Lesebuch für die oberen Abtheilungen ein- und mehrklassiger Elementarschulen in der Stadt und auf dem Lande

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meinem Wunsch ein Ziel. Hast du genug, dacht' ich, so hast du 
viel; und hast du nicht genug, so wird's die Vorsicht fügen. Waö 
folgt dir, wenn du heute stirbst? Die Würden, die dir Menschen 
gaben? Der Reichthum? Nein! Das Glükk, der Welt genützt 
zu haben. Drum sei vergnügt, wenn du dir dieö erwirbst. So 
dacht' ich, liebster Sohn! So sucht' ich auch zu leben, und dieses 
Glükk kannst du mit Gott dir selber geben. Vergiß es nie: Daö 
wahre Glükk allein ist: ein rechtschaffner Mann zu sein! 
UI. Was bin ich mehr, als ihr? 
ñhristns hat sei» Lebe» für uns gclossc»: 
»iid wir sollen auch da» ficl'cu für die Brüder lassen! (Inh. 3, 10.) 
Das Wasser rauscht, daS Wasser schwoll — nämlich daö 
Wasser der Oder, die am 27. April 1785 auö ihren Ufern trat, 
Damme durchbrach, Brükken abriß, Hauser umwarf tutb vielen 
Menschen ihren Sitz auf bim Dächern oder auf den Bäumen 
anwies, wo selbst die Vögel nicht mehr sitzen wollten. Kinder 
schrieen, Mütter jammerten, Männer klagten: Alles rings umher 
war voll Jammer und Noth. Edle Menschenherzen eilten von allen 
Seiten herbei, um den Armen zu helfen, llnd eS muß viele Men¬ 
scheuherzen dazll getrieben haben: denn Kahne fuhren ab sind zu 
und setzten Greise uitb Weiber aufs Trokkene, und Hände von 
Schwimmenden ragten aus den Fluthen empor und trugen Kinder 
zu ihren Müttern an's Land, — kurz, Noth und Hülse silchten'S 
einander zuvor zu thun; aber die Noth hatte lange die Uebermacht. 
DaS edelste Menschenherz unter allen schltig aber dieö Mal in 
einer HerzogSbrust. Diese öffnete sich zusammt Börse und Haus 
für Hunderte von Unglükklicheu. Nicht genug! Bald stand der 
Herzog auch an dem Ufer-, und zog her vor den Andern als retten¬ 
der Engel. Kaum erschien er, so umringten ihn Flehende von allen 
Seiten. Eine Mutter fiel vor ihm nieder und flehte jammernd um 
den Befehl, ihre Kinder zu retten. Er bot Geld auö; aber Nie¬ 
mand hatte das Herz, es zu verdienen: denn gar zu schaurig 
rauschte die immer höher steigende Fluth, und eig'neS Leben stand 
gegen fremdes in der Waage. Da wiederhallte in Leopold's Herzen 
das mahnende Wort: „Wer da suchet, seine Seele zu erhalten, der 
wird sie verlieren; und wer sie verlieren wird, der wird ihr ¿um
	        
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