2
sprach: Wenn du mich an einen Ort hinführen kannst, wo es nie¬
mand sieht, so will ich mitgehen. Nun, sagte Jakob, so komm mit
in die Milchkammer; dort wo,llen wir eine Schüssel voll süßen
Rahm verzehren. Anna sprach: Dort sieht cs der Nachbar, der
auf der Straße Holz spaltet. So komm mit mir in die Küche,
sagte Jakob, in dem Küchenschranke steht ein Topf voll Honig, in
diesen wollen wir unser Brot eintunken. Anna sprach: Dort kann
die Nachbarin hineinsehen, die am Fenster sitzt und spinnt. So
wollen wir unten im Keller Aepfel essen, dort ist cs so dunkel, daß
es gewiß niemand sieht. Anna sprach: O, mein lieber Jakob,
meinst du denn wirklich, daß uns dort niemand sieht? Weißt du
nichts von jenem Auge dort oben, das die Mauern dnrchdringt
und ins Dunkle sieht? Jakob erschrak imb sagte: Du hast Recht,
liebe Schwester, Gott sieht uns auch da, wo kein Menschenauge
uns sehen kann; wir wollen daher nirgends Böses thun. Anna
freute sich, daß Jakob ihre Worte zu Herzen nahm uub schenkte
ihm ein schönes Bild, darauf war das Auge Gottes mit Strahlen
umgeben uub darunter stand:
Gieb Gott, daß ich dein heilig Ange scheu '
Und rein vor dir von jeder Sünde sei..
3. Gott wird geben einem jeglichen nach seinen Werken.
Als ein Prophet eines Tages ans einem Berge zu Gott nm
höhere Kenntniß flehte, ward ihm der Befehl, er sollte von den
Höhen, worauf er stand, in die Ebene blicken. Hier floß eine klare
Quelle. Ein reisender Soldat stieg bei derselben von seinem Pferde
und trank. Kaum war der Reiter fort, so lief ein Knabe von der
Heerde-nach einem Trunk an diesen Ort. Er fand den Geldsack
bei der Quelle, der jenem hier entfiel; er nahm ihn und entwich,
worauf nach eben dieser Stelle ein Greis gebückt am Stabe schlich.
Er trank und setzte sich, um auszuruhen, nieder; sein schweres Haupt
sank zitternd in das Gras, bis er im Schlaf des Alters Last ver¬
gaß. Indessen kam der Reiter wieder, bedrohte diesen Greis mit
wildem Ungestüm uub forderte sein Geld von ihm. Der Alte
schwört, er habe nichts gesunden, der Alte fleht uub weint, der Rei¬
ter flucht und droht und sticht zuletzt, mit vielen Wunden, den ar¬
men Alten wüthend todt. Als dieses der Prophet sah, fiel er be¬
trübt zur Erden, doch eine Stimme rief: „Hier kannst du inne
werden, wie in der Welt sich alles billig fügt, denn wisse, cs hat
der Greis, der jetzt im Blute liegt, des Knaben Vater einst erschla¬
gen, der ben verlornen Raub zuvor davon getragen."
4. Die schlitzende Hand Gottes.
Zwei kleine Mädchen von 11 bis 12 Jahren wollten an einem
Wintertage ihre Verwandtin und Gevatterin besuchen. Diese wohnte
in einem Nachbardorfe im Gebirge. Die Kinder nehmen den Spinn¬
rocken in die Hand und gehen aus ihrem Dörflcin nach dem Walde