Full text: Deutsches Lese-, Lehr- und Sprachbuch für Schule und Haus

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sprach: Wenn du mich an einen Ort hinführen kannst, wo es nie¬ 
mand sieht, so will ich mitgehen. Nun, sagte Jakob, so komm mit 
in die Milchkammer; dort wo,llen wir eine Schüssel voll süßen 
Rahm verzehren. Anna sprach: Dort sieht cs der Nachbar, der 
auf der Straße Holz spaltet. So komm mit mir in die Küche, 
sagte Jakob, in dem Küchenschranke steht ein Topf voll Honig, in 
diesen wollen wir unser Brot eintunken. Anna sprach: Dort kann 
die Nachbarin hineinsehen, die am Fenster sitzt und spinnt. So 
wollen wir unten im Keller Aepfel essen, dort ist cs so dunkel, daß 
es gewiß niemand sieht. Anna sprach: O, mein lieber Jakob, 
meinst du denn wirklich, daß uns dort niemand sieht? Weißt du 
nichts von jenem Auge dort oben, das die Mauern dnrchdringt 
und ins Dunkle sieht? Jakob erschrak imb sagte: Du hast Recht, 
liebe Schwester, Gott sieht uns auch da, wo kein Menschenauge 
uns sehen kann; wir wollen daher nirgends Böses thun. Anna 
freute sich, daß Jakob ihre Worte zu Herzen nahm uub schenkte 
ihm ein schönes Bild, darauf war das Auge Gottes mit Strahlen 
umgeben uub darunter stand: 
Gieb Gott, daß ich dein heilig Ange scheu ' 
Und rein vor dir von jeder Sünde sei.. 
3. Gott wird geben einem jeglichen nach seinen Werken. 
Als ein Prophet eines Tages ans einem Berge zu Gott nm 
höhere Kenntniß flehte, ward ihm der Befehl, er sollte von den 
Höhen, worauf er stand, in die Ebene blicken. Hier floß eine klare 
Quelle. Ein reisender Soldat stieg bei derselben von seinem Pferde 
und trank. Kaum war der Reiter fort, so lief ein Knabe von der 
Heerde-nach einem Trunk an diesen Ort. Er fand den Geldsack 
bei der Quelle, der jenem hier entfiel; er nahm ihn und entwich, 
worauf nach eben dieser Stelle ein Greis gebückt am Stabe schlich. 
Er trank und setzte sich, um auszuruhen, nieder; sein schweres Haupt 
sank zitternd in das Gras, bis er im Schlaf des Alters Last ver¬ 
gaß. Indessen kam der Reiter wieder, bedrohte diesen Greis mit 
wildem Ungestüm uub forderte sein Geld von ihm. Der Alte 
schwört, er habe nichts gesunden, der Alte fleht uub weint, der Rei¬ 
ter flucht und droht und sticht zuletzt, mit vielen Wunden, den ar¬ 
men Alten wüthend todt. Als dieses der Prophet sah, fiel er be¬ 
trübt zur Erden, doch eine Stimme rief: „Hier kannst du inne 
werden, wie in der Welt sich alles billig fügt, denn wisse, cs hat 
der Greis, der jetzt im Blute liegt, des Knaben Vater einst erschla¬ 
gen, der ben verlornen Raub zuvor davon getragen." 
4. Die schlitzende Hand Gottes. 
Zwei kleine Mädchen von 11 bis 12 Jahren wollten an einem 
Wintertage ihre Verwandtin und Gevatterin besuchen. Diese wohnte 
in einem Nachbardorfe im Gebirge. Die Kinder nehmen den Spinn¬ 
rocken in die Hand und gehen aus ihrem Dörflcin nach dem Walde
	        
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