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Wahre und scheinbare Gestalt der Erde.
den» einen Ende der Hemisphäre nach dem andern vollführen, und aus
dieser Erscheinung kann ich schließen, daß die Erde nicht unbegrenzt, son¬
dern ein gänzlich unabhängiger Körper ist und, da sie Grenzen hat, auch
eine bestimmte Gestalt haben muß. Ich habe aber oft, wenn ich auf einer
großen Fläche oder wenn ich zur See auf einem Schiffe stand, die Be¬
merkung gemacht, daß ich mich gleichsam im Mittelpunkt einer bestimmten
kreisrunden Linie befand, welche jedoch nicht die Grenze meines Gesichts¬
kreises ist, denn hohe Gegenstände, wie Kirchthürnie und die Masten ent¬
fernter Schiffe, waren noch jenseits derselben deutlich zu sehen; und wenn
ich eine Erhöhung erstieg, erschienen mir auch die unteren Theile derselben
Gegenstände. Eine solche Erscheinung," könnte der Denker sagen, „läßt
sich nur durch die Annahme erklären, daß diejenigen Theile der Erde, auf
welchen ich diese Beobachtungen machte, krummlinigte seyen; da nun an¬
dere Personen an andern Punkten dieselben Erscheinungen beobachteten,
so wird dadurch so ziemlich klar bewiesen, daß die Erde eine convere
Oberstäche hat." So weit könnte ein forschender Geist gelangen, ohne
daß er deßhalb fähig wäre zu entscheiden, ob die Erde ein kugelförmiger
Körper oder eine unregelmäßige Masse mit einer converen Oberfläche sey.
Wenn man ihm aber jetzt noch sagt, daß ein Schiffer, der irgend eine
Küste in einer gewissen Richtung verläßt und das Vordertheil seines
Schiffes stets nach dem gleichen Punkte des Compasses hält, von der ent¬
gegengesetzten Seite dahin zurückkehrt, so wird er nicht länger zweifeln,
daß die Erde ein kugelförmiger Körper ist.
Um aber die Form der Erde genauer zu bestimmen, bedarf es pünkt¬
licherer Beobachtungen und künstlicherer Forschungsmittel. Wenn die Erde
ein kugelförmiger Körper ist, so können wir in irgend einer Richtung eine
Linie um dieselbe ziehen, diese messen, und dadurch nicht nur die genaue
Form der Erde, sondern auch ihre Dimensionen bestimmen. So schwierig
dieß auch erscheinen mag, so ist eö doch geschehen, und wir sind auf diese
Weise mit der Gestalt und den Dimensionen der Erde bekannt geworden.
Solche Linien, die man sich von den Polen aus um die Erdkugel gezogen
denkt, werden Meridiane genannt; wenn die Erde rund wäre, würden
diese Linien sämmtlich aus Kreisen bestehen, und wir könnten sie in eine
beliebige Anzahl Theile theilen, die einander gleich seyn müßten. Wären
jedoch die Meridiane nicht genaue Kreise, so würden ihre Theile im Maaße
, sehr von einander abweichen. Wenn wir daher einen Meridian in 360
Theile oder Grade theilen und einen derselben an verschiedenen Orten
messen, so finden wir, daß die Länge eines Grads in der Nähe des Pols
am größten und am Aequator am kleinsten ist. Die folgende Tabelle,
welche Professor Airy in seiner Schrift über die Gestalt der Erde und