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Drittes Kap. Kunst und Wissenschaft. 
der Baukunst, welche — meist arabischen oder maurischen Vorbildern 
nachstrebend — wohl durch Masse und Umriß zu imponiren, durch die unend¬ 
liche Mühe der Thcilarbeit in Erstaunen zu sezcn, nicht aber durch gefälligen 
Eindruck zu reizen vermag. 
Die Dichtkunst zuerst entzog sich der Fessel oder dem Allcinbcsizc 
der Geistlichkeit, sic, die Tochter der freiesten Geisteskraft, der jugend¬ 
lichen Phantasie. 
Im südlichen Frankreich, auch in Nord-Italien und auf der 
Ostküste Spaniens bildete sich die proven^alische ober romanische 
Sprache, in welcher viele freundliche Gesänge durch jene eiserne Zeit klangen, 
deren Rauhheit wunderbar mildernd. Die Sänger, Troubadours, Trou¬ 
vères (Erfinder) genannt, waren großcntheils von edler, selbst fürstlicher 
Abkunft und durch den Zauber ihrer Dichtungen fast so mächtig einwirkend 
auf ihre Zeit, als es einstens die griechischen Dichter in der Kindheit der 
hellenischen Kultur gewesen. Im nördlichen Frankreich (langue d’oil, 
im Gcgcnsaze der langue d’oc) wurde den Proven^aldichtern nicht unglücklich 
nachgeahmt; und auch England, Spanien und Italien blieben nicht 
weit zurück. Früher schon waren aus Norden, aus Irland, Skandi¬ 
navien, ja aus dem einsamen Island, viele Gesänge der Skalden 
erklungen. 
Aber am anziehendsten für uns sind die schwäbischen Minnesinger, 
ein Chor lieblicher Säuger, meist edler Abkunft und edleren Geistes, blühend 
in der hohenstaufischen Zeit, die Zierden des oberteutschen Parnasses*). 
Die Lieder der Minnesinger verklangen wieder gegen das Ende des Zeitraums, 
so wie damals auch das Ritterwcsen, welches ihnen den Stoff gegeben, 
seinen edleren Geist verlor. Doch immer mögen sie als die freundlichste 
Erscheinung des Mittelalters betrachtet werden und als die erste Verkündung 
einer wiederkehrenden besseren Zeit. 
*) Sammlung von Minnesingern, 140 Dichter enthaltend, durch Rüdiger Manessen, her¬ 
ausgegeben von Bodmer. Zürich 1758. In der neuesten Zeit ist Vieles — fast zu Vieles 
— über jene alttcutschen Dichtungen geschrieben worden.
	        
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