§ 13. Die Kirche in dieser Zeit. 
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dem Gelehrtenftande der Geistlichen regte sich in dieser 
Periode ein mächtiger Stndireifer. Abcr^die Wenigsten 
giengen an die rechte Quelle, die heil. Schrift. Man 
hatte schon lange her der Bibel die Tradition oder 
mündliche Ueberlieferung an die Seite gesetzt; die 
Apostel, sagte man, hätten nicht alles niedergeschrieben, 
was zur Seligkeit nöthig sei, ihre ganze Lehre habe sich 
nur mündlich von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt, 
und ans dieser mündlichen Ueberlieferung müsse die 
Schrift ergänzt werden. Es hielten sich aber jetzt die 
Gelehrten nach der großen Menge lediglich an die Tra¬ 
dition, und diese war in der That nichts anders als 
die Kirchen lehre, wie sie sich mit der Zeit gestaltet 
hatte, mit allen ihren Irrthümern. Und das war nun 
die Arbeit der Gottesgelehrten, die verfälschte Kir¬ 
che n l e h r e wissenschaftlich darzustellen und z n 
begründen. Und wie thaten sie es? Mittelst der 
alten he idnischen Philosop hie, namentlich der des 
Aristoteles (s. B. 1, S. 239). In seine Logik zwäng¬ 
ten sie die kirchlichen Lehren und suchteil damit die schöne 
Zusammenstimmung derselben, woraus ihre vollkommene 
Richtigkeit erhelle, nachzuweisen. So wurde Aristote¬ 
les ein berühmterer Mann in der Kirche als der Apo¬ 
stel Paulus. Diese Theologie nannte man „Scho¬ 
lastik", d. h. Schultheologie, weil sie vornehmlich 
ans den gelehrten Schulen getrieben wurde, und die sie 
betreibenden Theologen darum „Scholastiker." Es 
gab ausgezeichnete Gelehrte unter ihnen, wenn man auf 
die Kunst sieht. 
Einer der Besten unter den Scholastikern war An¬ 
selm (Anshelm), Erzbischof von Canterbury (ch 1093), 
bei dem man nicht blos große Verstandesschärfe, sondern 
auch noch einen tiefern Sinn und lebendiger» Glauben 
wahrnimmt. Er hat, kann man sagen. Me- erste Dog¬ 
matik oder wissenschaftliche G l a » be p s leh re ge¬ 
schrieben in seinem berühmten Werke: „Cor cieus homo?“ 
(Warum ist Gott Mensch geworden?)
	        
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