Full text: Geographische Bilder aus allen Erdtheilen

144 
Bilder aus Europa. — Deutsches Reich. 
Neben dem „großen Remter" liegt unmittelbar „Meisters kleiner 
Remter". Er war der gewöhnliche Speisesaal und ist ein überaus schmuckes 
Gemach, dessen herrliches Gewölbe nur auf einem achteckigen Pfeiler ruht. 
Unmittelbar an dieses Gemach grenzt „Meisters Stube" und bietet mit 
seinen zartgrünen Wänden, mit dem lichten Sterngewölbe und mit dem 
aus rothen und weißen Fliesen zusammengefügten Fußboden ein beruhigendes 
Bild heimischer Abgeschiedenheit und innerer Sammlung. Aeußerst freundlich 
nimmt sich das nächste Gemach aus. Ein dreifaches Spitzbogengewölbe 
schwingt sich über drei schlanke Granitpfeiler empor. Aus den fünf breiten 
fenstern lcuchtet buntfarbige Wappen-Glasmalerei, darunter aber auch die 
igur eines Ritters des deutschen, wie des Schwertbrüder-Ordens. Ein 
großer Kamin aus Kalkstein schmückt die Hinterwand; der Fußboden glänzt 
in altem Fliesenschmuck. Seine Lage geht nach dem Schloßhofe hinaus, 
also daß der Hochmeister alles Getreide auf diesem leicht beobachten 
konnte. Eine Seitenthüre führt in die „Hauskapelle"; sie ist vorn 
mit einem Sterngewölbe, nach hinten zu mit einem Tonnengewölbe ver¬ 
sehen, und die beiden Spitzbogensenster zeigen die beiden Johannes als 
Glasgemälde. — Im deutschen Orden war die Andacht kein von Tages¬ 
arbeit eben geschiedenes Geschäft, sondern recht mitten im rüstigen Leben, 
dieses erhebend und verklärend, und finden wir auch jene Kapelle ganz 
von des Meisters Wohnung umschlossen, ja eine Thüre führt uns un¬ 
mittelbar in dessen „Schlafkammer", ein Kreuzgewölbe von einfach 
würdigem Anblick. Die Wanoblenden darin dienten zu Wandschränken für 
Kleid und Harnisch; ein eichener Tisch in der Mitte und alterthümliche 
Stühle zur Seite der Wand bildeten außer der Bettstelle das ganze Meuble¬ 
ment. Es ist, als wäre der Hochmeister nur über Land gefahren und müßte 
jede Stunde wieder heimkehren. Aus der benachbarten „Rüst- oder Hinter¬ 
kammer", worin außer des Hochmeisters Laden und Kasten auch dessen 
Waffen aufgestellt waren, führt eine lange steinerne Treppe zum unteren 
„Conventsremter" hinab, jedoch wohl nur für den Meister selbst be¬ 
stimmt, wenn er an dem Conventstische der Ritter einmal mitspeisen oder 
an ihrer Unterhaltung theilnehmen wollte. Dieser über 34 Meter lange 
Saal mit seinen zartweißen, lustigen Sterngewölben, auf drei schlanken, 
überaus zierlichen Granitpfeilern ruhend, bietet einen Aufenthalt von unbe¬ 
schreiblich milder Heiterkeit dar, zumal wenn die Abendsonne die bunten 
Schildereien der acht hohen Spitzbogenfenster bespiegelt und den farbigen 
Fliesenteppich mit phantastischen Blumen bestreut. Denken wir uns diesen 
Raum belebt von den ehrwürdigen Gestalten jener Ritter, welche alltäglich 
Mittags und Abends sich dort zu versammeln pflegten, Männer aus den 
edelsten Geschlechtern aller Gauen Deutschlands, so tritt die Herrlichkeit 
jener dahingesunkenen Zeit uns so lebendig vor die Seele, als hätten wir 
mit eigenen Augen sie geschaut. 
Ern höchst originelles Kunstdenkmal besitzt die Marienburg in der 
„goldenen Pforte". Diesen Namen führt nämlich der im hohen Spitz¬ 
bogen tief in die Mauer eingelegte und reich verzierte alte Eingang zur 
Schloßkirche. Schon wegen ferner ehemaligen reichen Vergoldung und seiner 
sonstigen künstlerischen Bedeutsamkeit könnte er mit Recht „die goldene Pforte" 
genannt sein, obgleich dieser Ausdruck nicht mit Bestimmtheit herzuleiten 
ist. Noch ist die alte hölzerne Thür desselben vorhanden und an dem 
phantastisch verschlungenen Bild- und Blätterschmuck aus gebranntem Thon 
bei dieser Pforte die frühere Vergoldung zum Theil noch sichtbar. 
Es ist ein eigener Zusammenhang darin, daß der Hochmeister gerade 
von Venedig aus in die Marienburg einzog, und daß man heute, wenn 
man den Bau mit andern vergleichen will, an den Marcusplatz erinnert
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.