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Rot der Wangen, der scharfe und trotzige Blick der blauen Augen. Mit
Wohlgefallen sah der Römer auf die kräftigen Züge des deutschen Antlitzes; 45
er fand nichts Nationales darin, was feinen Schönheitssinn abstieß, wie z. B.
die Ziegenaugen in den einförmigen Gesichtern der Perser. Daß germanische
Stattlichkeit auch von dem modischen Rom gewürdigt wurde, beweisen die
Versuche römischer Damen, sich ein deutsches Aussehen zu geben durch blonde
Perücken, deren Haar aus Deutschland zugeführt wurde, und durch Benutzung 50
der rötlich färbenden Haaröle und Seifen, womit die Krieger der Germanen
ihr langes Haar vor der Schlacht strählten. So schön erschien der jugend¬
liche Leib der Deutschen dem Südländer, daß der neue Christenglaube den
Boten des Herrn, den Engeln und einigen Heiligen germanischen Typus
verlieh. Als der römische Stadtprüsekt, welcher später Papst Gregor 1.55
[590—604] wurde, auf dem Sklavenmarkt Knaben aus Angeln ausgestellt
sah, welche ein Händler eingeführt hatte, fragte er vor den blonden Locken,
den weißen Leibern und holden Kindergesichtern: „Woher sind sie zuge¬
bracht?" — „Von der Insel Britannien; dort sehen die Menschen so aus."
Wieder fragte er: „Sind die Leute dort Christen oder Heiden?" Man 60
sagte ihm: „Sie sind Heiden." Da seufzte er tief und rief: „Wehe, daß der
Geist der Finsternis Menschen umfängt, die solch strahlendes Antlitz haben!
Lieblich sind die Locken ihrer Stirn, und doch entbehrt ihre Seele der ewigen
Huld. Wie heißt ihr Volk?" Man versetzte: „Sie werden Angeln ge¬
nannt." Und er rief: „Mit gutem Fug; denn sie haben ein Engels-65
angesicht und sollten Miterben der Engel im Himmel sein." Darauf ging
er zum Papste, bat diesen, den Angeln einige Diener des Wortes zu senden,
und erbot sich selbst zu dem Werk.
Auch Sinn und Haltung der Deutschen flößten den verkehrenden Römern
Achtung ein: die Mannhaftigkeit, das Freiheitsgefühl, der Stolz. Die 70
Fremden galten für verständig und aufgeweckt, sie wußten in kluger Rede
Bescheid zu geben. Wenn deutsche Gesandte sich im Theater eigenmächtig
stuf die Ehrenplätze setzten, so gaben sie schnell dafür einen Grund an, der dem
Selbstgefiihl der Römer wohlthat. So oft der Germane mit dem Römer
handelte, trat der Gegensatz ihrer Naturen nicht zum Schaden des Deutschen 75
hervor. Gegeniiber dem eigennützigen und habgierigen Welschen, der scharf
daraus hielt, daß Leistung und Gegenleistung genau sei, nichts darunter und
darüber, legte der billige Sinn des Deutschen und sein freundliches Herz noch
eine Zugabe auf das zu Gewährende; er nahm und gab Geschenke als ein
hochsinniger Mann, dem nicht nur der Wert der Sache am Herzen liegt, 80
sondern auch die wohlwollende Meinung. Freilich sah der scharfe Blick des
Römers auch die Schwächen deutscher Natur, daß der Germane ein unmäßiger
Trinker war, und daß er auch bei nüchternem Mut waghalsig spielte wie ein
Trunkener. Aber bezeichnend ist doch, daß die Urteile der Römer und
spätern Griechen selten eine Abneigung gegen die gefährlichen Fremden ver-85
raten, häufig das Gegenteil.
Trotz alledem erweckten die deutschen Hünen Furcht; auch im ruhigen
Verkehr war ihrem Gemüte nicht zu trauen; denn sie waren leicht gereizt, ihr