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der Luftzug hat deu stolzen Gang der Lawine begleitet. Du 
schaust ihr nach; geradeaus, über zwei Stnnden lang, Hunderte 
von Schritten breit liegt ihr frisches Kanalbett dnrch Alpenweiden, 
Wälder, Wiesen bis an den Bach tief unten im Thal; noch rollen 
einzelne Ballen und rutschen kleine Stürze nach; noch schwankt 
der durchbrochene Hochwald im Winde der Verheererin. Voni 
Thale ans gesehen, ist die Katastrophe malerischer; doch entdeckt 
man selten die Anfänge. Der sich allsbreitende, mit Rieseilkräften 
wachseilde, wasserfallgleich über die Felswände stürzende, hochauf- 
ranchende Strom, wie er sich oft theilt imb wieder vereinigt, die 
Seiteilarme aufnimmt, ein wallendes, flllteildes, glänzendes Meer 
in pfeilschilellem Schlisse mit allen weitreichendeil Seitenwirkungen 
gewährt ein unaussprechlich großartiges Bild. Wellige SDtimiten, 
und die Tochter der Hochalp liegt nach einem schallerlichen Tanze 
friedlich nild beweglingslos in der Thalwanile. Vier- bis fünf- 
tansend Friß hat sie in siegreichem Doilllergange znrückgelegt und 
ihren Leib majestätisch in die fliegenden weißen Gewänder gehüllt, 
lim bald im Schoße des Thalbettes mit allfgelösteil Gliedern zu 
ruhen. 
Der Bewohner der Ebene macht sich fetten einen richtigen 
Begriff von den wunderbaren Sturmbewegungen, von denen eine 
solche Staublawine begleitet ist. Der Luftzug strömt stoß- oder 
säiußweise rechts und links etliche hundert Schritt weit neben dem 
Lawinenzug, schießt aber in seiner ganzen Breite unten über die 
liegen bleibende Schneemasse Hinalls, prallt oft an der gegenüber¬ 
liegenden Bergwand an oder verliert sich in der Weite des Thales, 
wo er iloch auf eine halbe Stuilde weit die Fenster lind Thüren 
der WohnlUlgen erschüttert uild die Kamille von den Dächeril 
hebt. In den Wäldern reißt dieser Strom auf beiden Seiterl des 
Sckneestromes oft tausend bis zweitausend der stärksten, ältesten 
Bälime nieder^ hebt Menschen nnb Thiere auf und schleu¬ 
dert sie in die Tiefe, zerbricht im Thale noch weit von feinem La¬ 
gerplätze die gewaltigsten Nuß- nnb Apfelbäume und Ahorne, legt 
schwere Frachtwagen ans die Seite und reißt gailze Ställe zusam¬ 
men. Doch ist diese Lllststreichung ziemlich enge abgegreilzt, lind 
allßerhalb ihrer scharfgezogenen Grenzlinie schwankt kein Blatt. 
Wunderbare Schicksale zeichnen solche Lawinen in das monotone 
Leben der Berghewohller. Bald verhüllen sie ganze Weiler in 
ilächtlicher Stunde, nnb die Leute sind in hallshohen Schneemassen 
begraben unb erstickt, ehe sie recht erwacht sind. Manchmal reißen 
sie die Häuschen wie Kartenblätter wirbelnd in die Höhe, und die 
Bewohner werden mit heiler Haut abseits in den Schnee geschleu¬ 
dert. Heuschuppen sind fünfhundert Schritte weit durch die Luft 
über Bäche getragen und llnversehrt mit dem ganzeil Hellstock auf 
der anderen Thalseite abgesetzt worden. Von Verschüttungen lind 
wunderbaren Rettungen der Menschen finden sich in allen höheren
	        
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