Full text: Nicolaisches Realienbuch

traten aile freien Männer in Wehr unb Waffen ans geweihter Dingstatte zu 
Volksversammlungen zusammen. Hierbei wurde hauptsächlich über Krieg und 
Frieden beschlossen. Durch lauten Zuruf und fröhliches Waffengeklirr gab die 
Versammlung ihre Zustimmung zu erkennen; durch Murren und Unruhe ver¬ 
warf sie die Vorschläge. 
Rechtspflege. Die Entscheidung über Diebstahl, Raub, Verwundung 
und Totschlag gehörte vor die Versammlung der Hundertschaften. Diese 
kamen gewöhnlich monatlich zur Zeit des Neu- und Vollmondes zusammen. 
War der Beschuldigte bei der Tat nicht ergriffen worden, so konnte er sich durch 
einen Eid von der Schuld reinigen. Hierbei standen ihm seine Verwandten 
als Eideshelfer zur Seite. Der Falscheid wurde nicht selten durch Verlust der 
Hand bestraft. Bisweilen entschied man die Schuld oder Unschuld des Ange¬ 
klagten auch durch das Gottesurteil, nämlich durch Werfen des Loses oder 
durch den Zweikampf. Bei böswilliger Tötung eines Genossen hatten die An¬ 
gehörigen der Sippe das Recht der Blutrache, d. h. sie durften den Mörder 
oder dessen Verwandten töten. 
Götter gl aube. Die alten Deutschen glaubten, daß die ganze Natur von 
Göttern und andern unsichtbaren Wesen erfüllt sei. In der strahlenden Sonne, die 
alles belebt, im rollenden Donner, im brausenden Sturm und im herabströmenden 
Regen wähnten sie das Walten der Götter zu erkennen. Als ältesten Gott 
verehrten die alten Deutschen Zin (Tyr), den Gott der leuchtenden Sonne 
und des Krieges. Ihm war der Dienstag (Zistag) geweiht. Als oberster 
Gott trat später der einäugige Wodan an seine Stelle. Er ist der Gott des 
Windes, der das blühende Getreide befruchtet. Darum ließ man ihm die 
letzten Ähren als Dankopfer stehen. Als Seelen- und Totenführer reitet er auf 
seinem Schimmel dem Geisterheer voran. Das gewaltige Brausen der Winterstürme 
erschien den alten Deutschen als die wilde Jagd des Geisterheeres. Wodans treuer 
Begleiter war der Wolf; als schnelle Boten dienten ihm zwei Raben. Weil 
Wodan auch als der Gott des Kampfes galt, war ihm die Esche heilig, ans deren 
Holz die Speere gefertigt wurden. Bei den nordischen Völkern hieß der oberste 
Gott Odin, der im gläsernen Saale Walhalla die gefallenen Helden durch die 
Schlachtenjnngfranen, Walküren, mit Speise und Trank bewirten ließ. Odins 
Sohn war der leuchtende Sonnengott Balder, der ans Anstiften des arg¬ 
listigen Loki seinen Tod findet. Donar war der Gott des Donners (Donners¬ 
tag). Das Rollen seines Wagens meinten die alten Deutschen im Grollen 
des Donners zu vernehmen. Der Blitz war Donars Wurfhammer, welcher 
zündete und zerstörte, wenn er zur Erde geschleudert wurde. Die Eiche, die 
sein Wurfhammer besonders häufig traf, war ihm geweiht. Donar spendete 
auch den Regen. Wodans Gemahlin war Freia (Frigga), die Göttin der 
fruchtbringenden Erde. Sie war die Beschützerin des Ackerbaues, der Ehe 
und des Hauswesens. Ihr war der Freitag geweiht; darum feierte man an 
diesem Tage gern Hochzeiten. Unter dem Namen Nerthus wurde sie beson¬ 
ders in einem heiligen Hain ans einer Insel der Ostsee, vermutlich Rügen, 
verehrt. Von Zeit zu Zeit führten Priester das Bild der Göttin ans einem 
voit weißen Kühen gezogenen Wagen feierlich umher. Als Frühlingsgöttin 
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