Full text: Deutsches Lesebuch für die Oberstufe mehrklassiger Schulen

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einen solchen Stand zu thun, dergleichen ich und mancher Oberster auch in 
unserer allererustesten Schlachtordnung nicht gethan haben. Bist du aber 
auf rechter Meinung und deiner Sache gewiß, so fahre in Gottes Namen 
fort und sei nur getrost: Gott wird dich nicht verlassen!" In dem Saale 
erwarteten der Kaiser, unter den sechs Kurfürsten sein eigener Landesherr, 
Friedrich der Weise, so viele andere geistliche und weltliche Fürsten, zahl¬ 
reiche durch Thaten in Krieg und Frieden berühmte Oberhäupter, würdige 
Abgeordnete der Städte, Freunde und Feinde den kühnen Mönch. Der 
Anblick einer so erhabenen, prächtigen Versammlung schien ihn doch einen 
Augenblick zu blenden. Er sprach mit leiser, zurückgehaltener Stimme. 
Auf die Frage, ob er seine Bücher, deren Titel verlesen wurden, sämmt¬ 
lich, wie sie seien, vertheidigen, oder sich zu einem Widerruf verstehen 
wolle, bat er sich Bedenkzeit aus, die ihm bis zum folgenden Tage be¬ 
willigt wurde. 
Am Donnerstag den 18. April erschien er aufs neue in der Ver¬ 
sammlung. Es wurde spät, ehe er vorgelassen ward; schon zündete mau 
die Fackeln an. Die Versammlung war vielleicht noch zahlreicher als 
gestern; das Gedränge des Volkes so stark, daß kaum die Fürsten zu sitzen 
kamen; die Aufmerksamkeit auf den entscheidenden Augenblick noch gespannter. 
Jetzt aber war in Luther keine Spur von Befangenheit. Auf die ihm 
wiederholte frühere Frage antwortete er mit männlich fester, starker Stimme, 
mit dem Ausdrucke freudiger Ruhe. Seine Bücher theilte er in drei 
Klassen: in solche, wo er vom Glauben und von guten Werken rede, in 
solche, in denen er gegen die Mißbräuche und die Tyrannei der Papisten 
geschrieben habe, und in solche gegen Privatpersonen, welche die römische 
Tyrannei zu vertheidigen sich unterfangen hätten. Die ersten könne er 
nicht widerrufen, da auch seine Feinde sie als unschädlich und nützlich an¬ 
erkennen müßten; die zweiten auch nicht, weil sonst die Papisten Deutsch¬ 
land vollends unterdrücken würden. Was die dritte Art von Büchern be¬ 
treffe, so sei er in ihnen wohl zuweilen schärfer gewesen, als sich für einen 
Christen gezieme; aber auch diese könne er nicht geradezu widerrufen, son¬ 
dern er müsse mit Christo sagen: Habe ich übel geredet, so beweise es, daß 
es böse sei. Werde er aber überwiesen, so sei er bereit, alle Irrthümer 
zu widerrufen. Da entgegnete der kaiserliche Redner: Ihn zu überweisen 
sei nicht nöthig, da seine Irrthümer bereits durch die Kirchenversammlung 
zu Kostnitz verdammt seien; er solle eine runde, nette Antwort uns die ihni 
vorgelegte Frage geben. Da antwortete Luther: „Weil denn Ew. Kaiser¬ 
liche Majestät eine schlichte Antwort begehren, so will ich eine geben, die 
weder Hörner noch Zähne hat. Es sei denn, daß ich durch Zeugnis der 
Schrift oder mit öffentlichen klaren und hellen Gründen und Ursachen über¬ 
wunden werde, — denn ich glaube weder dem Papst, noch den Concilien 
alleiü, weil es am Tag und offenbar ist, daß sie oft geirrt haben und sich 
selbst widersprechen, — so kann und will ich nichts widerrufen, weil cs 
weder sicher noch gerathen ist, etwas wider das Gewissen zu thun. Hier 
stehe ich, ich kann nicht anders; Gott helfe mir! Amen." 
Der Eindruck, den Luther's Worte auf die Zuhörer hervorbrachten, 
war ein sehr verschiedener. Der tapfere Herzog Erich von Braunschwcig 
schickte ihm in dem Gedränge der Versammlung einen Trunk Einbecker
	        
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