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erkannten sich, fielen einander in die Arme, und Thränen der in¬ 
nigsten Freude flössen über die braunen Wangen des Kriegers. 
Der durch diesen Auftritt äußerst gerührte Hauptmann ließ 
den Knaben einige Tage bei dem Vater ausruhen und gab ihnen 
Etwas, daß sie sich gütlich thun und Pflegen konnten. Sodann 
ermahnten der Hauptmann und der Vater den Knaben, nunmehr 
zu seiner über seine Abwesenheit sehr bekümmerten Mutter wieder 
zurückzukehren; auch reichte ihm der Hauptmann als Zehrpfennig 
zur Reise ein Goldstück. ,,Zur Reise", sagte der kleine Pilgrim^ 
„brauche ich kein Geld, denn gegen Ausweis meines Briefes ha¬ 
ben mir gute Leute unterwegs doch zu essen gegeben. Aber mei-- 
ner Mutter will ich das Geschenk bringen." 
So trat er denn seine Rückreise wieder an, verirrte sich aber 
und kam an die feindlichen Vorposten. Hier wurde er angehalten 
und in's Hauptlager zum General Cüstine geführt, der ihn durch 
einen Dollmetscher scharf ausforschen ließ. Ohne Scheu erschien 
der deutsche Knabe vor dem französischen Feldherrn, beantwortete 
alle Fragen desselben offenherzig nach der Wahrheit, zeigte aber¬ 
mals den Brief seines Vaters, und erzählte, was ihm im preu¬ 
ßischen Lager begegnet war. Gerührt und lächelnd über das große 
und gute Herz des preußischen Soldatenkindes, schenkte ihm der 
feindliche Heerführer zwei Goldstücke und gab ihm einen Weg¬ 
weiser mit, der ihn durch's französische Heer begleiten sollte, bis 
er in völliger Sicherheit sei. „Denn", sagte er zu ihm, „du hast 
in deiner Kindheit bisher schon auf einem zu guten Wege gewan¬ 
delt, als daß man nicht dafür sorgen sollte, daß du nicht wieder 
irre gehen mögest." 
Glücklich und wohlbehalten kam der Knabe endlich in seiner 
Heimath wieder an und verwandelte die Thränen der Betrübniß, 
die seine Mutter bisher über ihren Sohn geweint hatte, in Thrä¬ 
nen der Freude. Er bat sie wegen seiner heimlichen Entweichung 
um Verzeihung, sagte ihr als Ursache und Entschuldigung dersel¬ 
ben das, was die Leser schon wissen, und überlieferte die Geschenke, 
die er vom Hauptmanne seines Vaters und vom Heerführer der 
Feinde empfangen hatte, getreulich in ihre Hände. 
44. Brüderliche Liede. 
Durch schwere Erfahrungen von der Unzuverlässigkeit und 
dem bösen Sinne der Menschen war der Kaiser Albrecht dahin 
gebracht, daß er die Menschen haßte, düster in sich gekehrt in 
seiner Hofburg zu Wien sich einschloß und Niemanden vor sich 
lassen wollte. Nur ein großer Hund, Packan geheißen, war ihm 
wegen seiner Treue lieb geblieben, und er sagte es denen, mit 
welchen er durchaus umgehen mußte, offen, daß ihm die Anhäng¬ 
lichkeit dieses Thieres allein aufrichtig scheine. Es war, als ob
	        
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