Full text: 6. Schuljahr (4, [Theil] 2)

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sobald die Abenddämmerung und der eisige Winternebel über den Häusern 
lag. Schrecklich war das lautlose Erscheinen der Franzosen, entsetzlich 
waren die Leiden, welche sie mit sich brachten. Die Kälte in ihren Leibern sei 
nicht fortzubringen, ihr Heißhunger sei nicht zu stillen, behauptete das Volk. 
Wurden sie in ein warmes Zimmer geführt, so drängten sie sich mit Gewalt an 
den warmen Ofen, als wollten sie hineinkriechen, vergebens mühten sich 
mitleidige Hausfrauen, sie von der verderblichen Glut zurückzuhalten. Gierig 
verschlangen sie das trockene Brot, einzelne vermochten nicht aufzuhören, 
bis sie starben. Bis nach der Schlacht von Leipzig lebte im Volke der 
Glaube, daß sie mit ewigem Hunger vom Himmel gestraft seien. Noch dort 
geschah es, daß Gefangene in der Nähe des Lazaretts sich die Stücke toter 
Pferde brieten, obwohl sie bereits regelmäßige Kost erhielten. Doch damals 
behaupteten die Bürger, das sei ein Hunger von Gott. Einst hätten sie die 
schönsten Weizengarben ins Lagerfeuer geworfen, hätten gutes Brot aus¬ 
gehöhlt und auf dem Boden gekollert, jetzt seien sie verdammt, durch keine 
Menschenkost gesättigt zu werden. 
Überall in den Städten der Heerstraße wurden für die Heimkehren¬ 
den Lazarette eingerichtet, und sogleich waren alle Krankenstuben überfüllt; 
giftige Fieber verzehrten dort die letzte Lebenskraft der Unglücklichen. Un¬ 
gezählt sind die Leichen, welche dort herausgetragen wurden; auch der 
Bürger mochte sich hüten, daß die Ansteckung nicht in sein Haus drang. 
Wer von den Fremden vermochte, schlich deshalb nach notdürftiger Ruhe 
müde und hoffnungslos der Heimat zu. Die Buben auf der Straße aber 
sangen: „Ritter ohne Schwert, Reiter ohne Pferd, Flüchtling ohne Schuh, 
nirgends Rast und Ruh. So hat sie Gott geschlagen mit Mann und 
Roß und Wagen!" und hinter ihnen gellte der höhnende Ruf: „Die 
Kosaken sind da!" Dann kam in die flüchtige Masse eine Bewegung des 
Schreckens, und schneller wankten sie zum Thore hinaus. G. Freytag. 
33. Das Franzosenheer. 
1. Mit Mann und Rotz und Wagen, 
so Hat sie Gott geschlagen. 
Es irrt durch Schnee nnd Wald umher 
das grotze, màcht'ge Franzenheer; 
der Kaiser auf der Flucht, 
Soldaten ohne Zucht. 
2. Mit Mann und Rofl und Wagen, 
so Hat sie Gott geschlagen; 
Jàger ohne Gewehr, 
Kaiser ohne Heer, 
Heer ohne Kaiser, 
Wildnis ohne Weiser. 
3. Mit Mann und Roß und Wagen, 
so hat sie Gott geschlagen; 
Trommler ohne Trommelstock, 
Kürassier im Weiberrock, 
Ritter ohne Schwert, 
Reiter ohne Pferd. 
4. Mit Mann und Roß und Wagen, 
so hat sie Gott geschlagen; 
Fähnrich ohne Fahn', 
Flinten ohne Hahn, 
Büchsen ohne Schuß, 
Fußvolk ohne Fuß.
	        
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