Full text: 6. Schuljahr (4, [Theil] 2)

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unseren redlichen Anstrengungen siegreichen Lohn gewähren. Aber welche 
Opfer auch von einzelnen gefordert werden mögen, sie wiegen die heiligen 
Güter nicht ans, für die wir sie hingeben, für die wir streiten und siegen 
müssen, wenn wir nicht aufhören wollen, Preussen und Deutsche zu sein. 
Es ist der letzte entscheidende Kampf, den wir bestehen für unsere 
Existenz, unsere Unabhängigkeit, unsern Wohlstand. Keinen andern 
Ausweg giebt es, als einen ehrenvollen Frieden oder einen ruhmvollen 
Untergang. Auch diesem würdet ihr getrost entgegen gehen, weil ehrlos 
der Deutsche nicht zu leben vermag. Allein wir dürfen mit Zuversicht 
vertrauen. Gott und unser fester Wille werden unserer gerechten Sache 
den Sieg verleihen, mit ihm einen sichern, glorreichen Frieden und die 
Wiederkehr einer glücklichen Zeit. 
Breslau, den 17. März 1813. Friedrich Wilhelm (IIP). 
Hippel. 
35* Das preußische Volk im Jahre 1813. 
Von Memel bis Demmin, von Kolberg bis Glatz war in dein unver¬ 
geßlichen Frühlinge und Sommer des Jahres 1813 unter den Preußen 
nur eine Stimme, ein Gefühl, ein Zorn und eine Liebe, das Vaterland 
zu retten, Deutschland zu befreien und den französischen Übermut einzu¬ 
schränken. Krieg wollten die Preußen, Gefahr und Tod wollten sie, den 
Frieden fürchteten sie, weil sie von Napoleon keinen ehrenvollen preußischen 
Frieden hoffen konnten. „Krieg, Krieg!" schallte es von den Karpathen 
bis zur Ostsee, von dem Niemen bis zur Elbe; „Krieg!" rief der Edel¬ 
mann und Landbesitzer, der verarmt war; „Krieg!" der Bauer, der sein 
letztes Pferd unter Vorspann und Fuhren tot trieb; „Krieg!" der Bürger, 
den die Einquartierungen und Abgaben erschöpften; „Krieg!" der Tage¬ 
löhner, der keine Arbeit finden konnte; „Krieg!" die Witwe, die ihren ein¬ 
zigen Sohn in das Feld schickte; „Krieg!" die Braut, die den Bräutigam 
zugleich mit Thränen des Stolzes und des Schmerzes entließ. Jünglinge, 
die kaum wehrhaft waren, Männer mit grauen Haaren uub wankenden 
Knieen, Offiziere, die wegen Wunden und Verstümmelungen lange ehrenvoll 
entlassen waren, reiche Gutsbesitzer und Beamte, Väter zahlreicher Familien 
und Verwalter weitläufiger Geschäfte, in Hinsicht jedes Kriegsdienstes ent¬ 
schuldigt, wollten sich selbst nicht entschuldigen; ja, sogar Jungfrauen unter 
mancherlei Verstellungen und Verlarvungen drängten sich zu den Waffen. 
Alle wollten sich üben, rüsten und für das Vaterland streiten und sterben. 
Preußen war wieder das Sparta geworden, als welches seine Dichter es 
einst besangen; jede Stadt, jeder Flecken, jedes Dorf schallte von Kriegs- 
lnst und Kriegsmusik und war in einen Übungs- und Waffenplatz verwan¬ 
delt; jede Feueresse war eine Waffenschmiede. Das war das Schönste bei 
diesem heiligen Eifer und fröhlichen Gewimmel, daß alle Unterschiede von 
Ständen und Klassen, von Altern und Stufen vergessen und aufgehoben 
waren; daß jeder sich demütigte und hingab zu dem Geschäfte und Dienste, 
wo er der brauchbarste war; daß das eine große Gefühl des Vaterlandes uub 
Vaterland II. 6
	        
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