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Die Mutter aber war auch in derselben Kammer, doch nicht an
dem Bette, um ihrer Traurigkeit willen. Da sprach der Vater zu ihr:
„Liebes Weib, bedenke doch, wo sie hinkommt; ihr ist ja wohl. Aber
freilich, Fleisch und Blut thut, wie seine Art ist. Bei den Kindern ist's
anders; die sterben ohne Schmerz und Reue, gleich wie sie entschlum¬
mern. Ich hätte sie auch gerne behalten, denn ich habe sie ja sehr
lieb, wenn mir sie unser Herr Gott hätte lassen wollen; doch geschehe
sein Wille!"
Da das Kind nun in den Sarg gelegt ward, sahe er es an und
sprach: „Du liebes Leuchen, wie wohl ist dir geschehen! Du wirst wieder
auferstehen und leuchten wie ein Stern, ja wie die Sonne!"
Joh. Matthesius.
111. Am Grabe des Vaters.
1. Friede sei um diesen Grabstein her, sanfter Friede Gottes!
Ach, sie haben einen guten Mann begraben, — und mir war er mehr!
2. Träuste mir von Segen, dieser Mann, wie ein milder Stern
aus bessern Welten! Und ich kann's nicht mehr vergelten, was er
mir gethan!
3. Er entschlief; sie gruben ihn hier ein. Leiser, süßer Trost, von
Gott gegeben, und ein Ahnen von dem ew'gen Leben duft' um sein
Gebein, —
4. Bis ihn Jesus Christus, groß und hehr, freundlich wird er¬
wecken! — Ach, sie haben einen guten Alaun begraben, und mir war
er mehr! Matthias Claudius.
112. Seligkeit in Jesu.
J. Wenn ich Ihn nur habe,
wenn Sr mein nur ist,
Wenn mein Herz nur bis zum Grabe
Seiner Treue nie vergißt,
weiß ich nichts vom Leide,
Fühle nichts, als Andacht, Lieb' und Freude!
2. wenn ich Ihn nur habe,
Laß ich alles gern,
Folg' an meinem Wanderstabe
Treugesinnt nur meinem Herrn;
Lasse still die andern
Breite, lichte, volle Straßen wandern!
3. wenn ich Ihn nur habe,
Schlaf' ich selig ein;
Ewig wird die höchste Gabe
wir Sein treues Lieben sein!
wir kann vor dem Tod nicht grauen;
Jenseits werd' ich meinen Heiland schauen!
Friedr. v. Hardenberg. (Novalis.)