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52. Der gute Mäher.
1. Früh ging ein Mäher mähen ins Feld den reifen Klee;
da schnitt er mit der Sense hart an ein Nest — o weh!
Drin lagen sieben Vögelein; sie lagen nackt und bloß.
O könntet ihr schon fliegen, o wäret ihr schon groß!
2. Dem Mäher tat's so wehe; er sann wohl her und hin.
Da kam dem guten Mäher noch Hoffnung in den Sinn.
Er mähte nun bedächtig weit um die Stelle her;
er trug den Klee von dannen und störte da nicht mehr.
3. Die alten Vögel flogen nun wacker ab und zu;
sie fütterten die Kinder in ungestörter RuhL
Bald wuchsen ihre Flügel, sie flogen froh davon;
der Mäher aber fühlte im Herzen süßen Lohn. Reinick.
53. Die Hausräte.
«Wie machst du es denn, lieber Nachbar, daß dein Haus¬
wesen in so gutem Stande ist ? Man sieht doch nichts Besonderes
an dir und an dem, was bei dir vorgeht. Wir andern arbeiten
doch auch und geben acht auf das Unsrige und sind sparsam so
gut wie möglich, und doch ist es unnütz.» Der Nachbar ant¬
wortete: «Ich wüßte nicht, was die Ursache davon sein sollte;
es müßten denn meine drei Hausräte sein, denen ich alles ver¬
danke.» — «Deine drei Hausräte ? Wer sind denn diese ?» —
«Der Haushund, der Haushahn und die Hauskatze.» — «Du
spottest?» — «Ich spreche ganz im Ernste; denn sieh': Der
Haushund bellt, wenn ein Feind herbeischleicht, und da ist es
nötig achtzugeben! Der Haushahn kräht, wenn der Tag an¬
bricht, und da ist es Zeit aufzustehen! Und die Hauskatze putzt
sich, wenn ein werter Gast kommt, und da ist es nötig zuzu¬
richten!» — «Ich verstehe, Nachbar, was du damit sagen willst!
Du meinst, daß drei Dinge nötig seien, um das Hauswesen auf¬
zurichten: Vorsorge gegen alles, was schaden kann, Tä¬
tigkeit in allem, was nützen kann, und Freundlich¬
keit gegen alle, welche uns wohlwollen und wohltun.» —
«Wenn du es so nehmen willst, bin ich einverstanden; aber ich
lobe mir doch meine Hausräte darum, weil sie mich jederzeit
mahnen, was zu tun ist; ich könnte es sonst leicht vergessen.»
Nach Auerbach.