76. Wehrpflicht.
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sachen und der Schwurgerichte kann an das Reichsgericht in Leipzig Revision
eingelegt werden. Für Verwaltungsrechtssachen besteht in Bayern der
Verwaltungsgerichtshof, der in letzter Instanz Recht spricht.
Die Rechtsanwälte sind die Fürsprecher für die streitenden Parteien
und notwendig, weil die rechtlichen Formen oft so verwickelt sind, daß
ein Rechtsunkundiger nicht damit umgehen kann. Das Prozesseführen
wird freilich teuer durch die Rechtsanwälte, denn diese müssen ebensogut
wie andere Leute von ihrer Arbeit leben. Allein ein guter Rechtsbeistand
verhütet auch manchen Prozeß, wenn er die Parteien zu einem gütlichen
Vergleiche bewegt und prozeßsüchtige Leute von vornherein abweist.
Deimling.
76. Wehrpflicht.
Bei den alten Deutschen war jedem freien Manne durch die Geburt
schon das Wafseurecht und die Wehrpflicht eigen; namentlich waren Recht
und Pflicht' des Kriegsdienstes an den freien Grundbesitz gebunden. Im
Alter von 14 oder 15 Jahren wurde der Jüngling in der Volksversammlung
wehrhaft gemacht und damit ein Glied des Staates. An einem allgemeinen
Kriege mußte jeder wehrhafte Freie teilnehmen; das Aufgebot sämtlicher freien,
wehrfähigen Männer hieß der Heerbann. Auf einzelnen Streifziigeu schloß
sich an die Fürsten ein Gefolge junger Männer an, die auch im Frieden mit
ihnen lebten. Aus demselben entwickelte sich der Adel als eine deutsche
Kriegerkaste und aus diesem wiederum das Rittertilm und die Ritterschaft,
die zu Pferde kämpfte. Seit dem Untergange des Rittertums machten die
Landsknechte als Fußvolk lange Zeit den Kern der deutschen Heere aus.
Mit der allmählichen Einführung der Feuerwaffen bildeten sich die geworbenen
Söldnerheere und seit dem 17. und 18. Jahrhundert verschwinden die gebil¬
deten und besitzenden Klassen größtenteils aus dem Heere. Die deutsche
Neichsarmee jener Zeit war infolge ihrer bunten Zusammensetzung, ihrer
verschiedenartigen Bekleidung, Bewaffnung und Abrichtung das Gespötte
von ganz Europa. Mit der Französischen Revolution beginnen dann allmäh¬
lich die Aushebungen aus der gesamten Bevölkerung mit Stellvertretungen
in der Weise, daß sich der Vermögliche einen Ersatzmann stellen konnte, der
für ihn die Lasten des Soldatendienstes übernahm. Diese Bestimmungen
galten in verschiedenen deutschen Staaten bis nach dem Jahre 1866.
In Preußen dagegen, wo schon unter Friedrich dem Großen in Kriegs¬
zeiten neben angeworbenen Söldnern auch ausgehobene Landeskinder (Kanto¬
nisten) in das Heer eingestellt waren, wurde im Jahre 1814 die allgemeine
Wehrpflicht eingeführt und jeder körperlich tüchtige und mit keiner entehrenden
Strafe belegte Mann vom 20. bis zum 40. Lebensjahre für dienstpflichtig
erklärt. Diese allgemeine Wehrpflicht ohne Stellvertretung wurde durch Gesetz
vom 9. November 1867 auf den ganzen Norddeutschen Bund ausgedehnt und
auch in die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 über¬
nommen. Nachdem die einzelnen Teile der Wehrordnung durch eine Reihe