Der Christ im Tode. 189 
ihn doch nie die Gegenwart des Geistes. Sein starker 
durchdringender Verstand, den er in gesunden Tagen zeigte, 
wurde auch bis zu seinem Absterben unaufhörlich sichtbar. 
Die Beängstigungen, welche ihm seine Krankheit öfters 
verursachen mußte, preßten ihm zwar dann und wann 
einen Seufzer aus, aber es war nie der Seufzer eines 
Unwilligen und mit Gottes Schickung Unzufriedenen, son¬ 
dern ein Seufzer, der der leidenden Menschheit wohl zu 
verzeihen ist, wenn sie von der Last der Schmerzen nie¬ 
dergedrückt wird. — So sehr ihn auch sein Stand über 
viele Andere erhob, so war er doch, nach dem Muster 
seines Erlösers, ganz und von Herzen demüthig. Immer 
zeigte er eine liebenswürdige Freundlichkeit, und eine edel- 
wüthige Herablassung gegen Jedermann. Er verordnete 
daher auch, als er sein nahe bevorstehendes Ende fühlte, 
»daß man ihn ja nicht in die Kirche, und eben so wenig 
ßn ein gemauertes Grab beerdigen sollte, weil er keinen 
Vorzug vor seinen niederen Brüdern voraus haben wollte. 
Am Himmelfahrtstage frühe Morgens erinnerte er sich, 
daß dieß der Tag sey, an welchem sein Heiland, nach 
vollendetem Leiden, in die Herrlichkeit seines Vaters ein¬ 
gegangen seye, und sogleich äusserte er den Wunsch, daß 
er seinem Herrn und Heilande dahin nachfolgen dürfe. 
Und eben dieß war der Tag, an welchem dieser vollen¬ 
dete und verewigte Gerechte allen Leiden und Müh'elig- 
keiten dieses Lebens entrissen, und zu der Herrlichkeit sei¬ 
nes ewigen Mittlers und Hohenpriesters erhoben wurde. 
Er war den ganzen Tag über zwar matt, aber lein Auge 
war immer noch munter und lebhaft, so daß man nicht 
alle Hoffnung zu seiner Genesung aufgab, weil seine 
Freunde nichts inniger wünschten, als daß er wieder ge¬ 
nesen möchte. Er unterhielt sich noch, so vftl es ihm 
seine Schwachheit erlaubte, mit seinem erhöheten Erlöer, 
und fand in dieser Unterhaltung ein solches Vergnügen, 
daß es ihn über alle Schmerzen des Körpers erhob, und 
seinen Geist freudig erhielt. Voll der großen Hoffnung 
des ewigen Lebens entschlief er sanft und selig in seinem
	        
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