Das Hauptverfahren
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verweigert werden. Jeweils nach Vernehmung eines Zeugen oder
Sachverständigen und nach Verlesung eines als Beweismittel dienen¬
den Schriftstücks 13 wird der Angeklagte befragt, ob er etwas zu er¬
klären habe. Nach Beendigung der Beweisaufnahme erhalten der
Staatsanwalt und fodann der Angeklagte und fein etwaiger Vertei¬
diger zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort. Dem Ange¬
klagten steht stets das letzte Wort zu, bevor sich der Gerichtshof zur
geheimen Beratung des Urteils zurückzieht.
Zum Zwecke der Urteilsfindung muß jeder Richter zunächst sich
darüber klar werden, welche Tatsachen er auf Grund der Verhand¬
lung nach feiner freien Ueberzeugung für feststehend und erwiesen
erachtet." Sodann ist zu prüfen, ob der hiernach feststehende Sach¬
verhalt den gesetzlichen Tatbestand einer strafbaren Handlung er¬
füllt, d. h. ob dieser Sachverhalt alle einzelnen Merkmale in sich
schließt, aus denen sich der gesetzliche Begriff der strafbaren Handlung
zusammensetzt (vgl. Nr. 248). Ist das der Fall und liegen keine der
gesetzlichen Strafausschließungsgründe vor (f. Nr. 251), so ist damit
die Schuldfrage bejaht, und nun erst ist die S t r a f a u s -
meffungsfrage zu prüfen, d. h. zu entscheiden, auf welche
Strafe erkannt werden sollst3
Die Schuldfrage gilt nur als bejaht, wenn minde¬
stens zwei Dritteile der Richter für die Bejahung stimmen. Im
übrigen entscheidet das Gericht nach Stimmenmehrheit, insbesondere
13 An Stelle der mündlichen Vernehmung eines Zeugen darf nur dann die
Verlesung des Protokolls über seine frühere gerichtliche Vernehmung treten, wenn die
Ladung des Zeugen wegen Krankheit oder Tods oder wegen weiter Entfernung ustv.
unmöglich oder erschwert war.
" An bestimmte Beweisregeln, wie sie das frühere Recht kannte, ist der
Richter hierbei nicht gebunden. Doch darf diese Freiheit nicht etwa in Willkür aus¬
arten. Richt genügend ist es natürlich, wenn der Richter nur der Meinung ist, die
Sache werde sich wohl so und nicht anders verhalten; er darf vielmehr nur das
als festgestellt annehmen, wovon er die feste Ueberzeugung hat, daß es sich nicht
anders verhalten kann, und er muß sich selbst auch gewissenhaft Rechenschaft geben,
worauf diese Ueberzeugung gegründet ist. Besonders wichtig ist letzteres, wenn die
Ueberzeugung sich nicht auf ein Geständnis, sondern aus einzelne Anzeichen und
Verdachtsgründe stützt; denn ein solcher sogenannter Indizienbeweis erweist sich
sehr häufig bei näherem Betrachten als trügerisch.
15 Ein strenges Auseinanderhalten der Schuldsrage von der Strafsrage
ist von großer Wichtigkeit. Aus einer Vermengung beider Fragen würde es be¬
ruhen, wenn man einen Angeklagten, weil immerhin noch Zweifel an seiner Schuld
inöglich sein könnten, zu einer milderen Strafe, einer sog. Verdachts strafe, ver¬
urteilen wollte. Das wäre selbstverständlich durchaus unzulässig; denn entweder ist
die Schuld voll erwiesen und dann muß die richtige, der Tat entsprechende Strafe
ausgesprochen werden, oder der Beweis ist nicht voll erbracht und es hat deshalb
Freisprechung zu erfolgen. Ein Drittes gibt es nicht.
Glock-Korn, Bürgerkunde.
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