Object: Lesebuch für das zweite Schuljahr

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ganze Stube ward voll Rosenduft. Das Licht löschte aus aber 
ein Schimmer wie Morgenrot strahlte von dem Weiblein aus 
und überzog alle Wände. Anfangs erschraken unsre guten 
Eheleute nicht wenig; sie erholten sich aber bald wieder, als 
das Weiblein mit wundersüßer, silberreiner Stimme sprach: 
„Ich bin eine Fee und wohne tief unten in den Bergen 
Drei Wünsche dürft ihr tun, drei Wünsche sollen euch erfüllt 
werden.“ Die Frau war nahe daran, den Mund zu öffnen 
und ein paar Dutzend goldgestickte Hauben, seidene Halstücher 
und andere kostbare Sachen zu wünschen, da sprach die Bergfee 
warnend: „Übereilt euch nicht, acht Tage lang habt ihr Zeit“ 
„Das ist kein Fehler,“ dachte der Mann und legte seiner Frau 
den Finger auf den Mund. Das Weiblein aber verschwand. 
2. So glücklich nun unsre guten Leute waren, so waren 
sie jetzt doch recht übel daran, weil sie vor lauter Wunsch 
nicht wußten, was sie wünschen sollten Nun,“ sagte die Frau, 
„wir haben ja noch Zeit bis nächsten Freitag“ Am folgenden 
Abend saßen Mann und Frau wieder beisammen, und beide 
dachten an das kommende Glück. Da setzte die Frau geröstete 
Kartoffeln auf den Tisch, und lieblicher Geruch stieg aus der 
Schüssel empor. „Wenn wir jetzt nur ein gebratenes Würstlein 
dazu hätten,“ sagte sie in aller Unschuld und ohne an etwas 
zu denken, und — o weh, da war der erste Wunsch getan. 
Schnell, wie ein Blitz kommt und vergeht, lag auf den 
Kartoffeln die schönste Bratwurst. „Wenn dir die Wurst doch 
nur an der Nase angewachsen wäre,“ sprach der Mann in 
der ersten Überraschung, — und wie gewünscht, so geschehen 
Kaum war das letzte Wort gesprochen, da saß auch schon 
das Würstlein auf der Nase der guten Frau Liese fest, wie 
angewachsen, und hing zu beiden Seiten hinab wie ein 
Schnurrbart. 
Nun war die Not der armen Eheleute erst recht groß. 
Zwei Wünsche waren erfüllt, und doch waren sie um keinen 
Heller und um kein Weizenkorn, sondern nur um eine böse
	        
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