H. v. Zobeltitz, Gustav Nachtigals Erforschungsreisen im Sudan. 111
Wadai, der große Sudanstaat östlich des Tsadsees, ist ein verrufenes,
gefürchtetes Land. Bisher war es nur einem einzigen Europäer, deni
großen deutschet: Forscher Edirard Vogel, gelungen, es zu erreichen; aber
er hatte sein Wagnis mit dem Tode bezahlt, da der dortige Sultan ihn
im Februar 1856 hinrichten ließ. Ein anderer Reisender, Moritz v. Beur-
mann, der ausgesandt worden war, um Vogels Schicksal zu erforschen,
war ermordet worden, nachdeni er kaitm die Landestzrenze berührt hatte.
Inzwischen hatte allerdings ein Thronwechsel in Wadai stattgefunden,
und der neue Sultan Ali galt als ein weniger blutdürstiger, verstän¬
digerer Herrscher; trotzdem hatte jedoch jedermann in Bornu den mutigen
Forscher vor der Reise in das Nachbarland gewarnt, die ihm den ge¬
wisser: Tod bringen würde. Nachtigals Wissensdrang hatte ihn indessen
mit Unwiderstehlichkeit zu dem Wagnis getrieben. Zwei Jahre hindurch
blieb dann jede Nachricht von ihm aus: da kam im August 1874 plötz¬
lich aus Khartum, der Hauptstadt des damaligen ägyptischen Sudan, die
frohe Kunde, daß Nachtigal wohlbehalten dort eingetroffen sei. Sein
kühnes Unternehmen war in fast wunderbarer Weise geglückt.
Ohne jede vorherige Anmeldung war der mutige Reisende in Eil¬
märschen von Kuka aus unter dem Schutze eines gewöhnlichen Kaufmanns
bis in das Herz von Wadai gereist. Der einzige Schatz, den er bei sich
führte, war ein Empfehlungsschreiben Scheich Omars; wie wenig Wert
aber auch dieses hatte, das sollte er nur zu bald erfahren.
Erst drei Tagemärsche von Abeschr, der Hauptstadt Wadais, wurde
halt gemacht und ein Eilbote an den Sultan abgesandt, der ihm die
Ankunft Nachtigals und seine Absicht, ihn zu besuchen, melden sollte.
Zunächst gab der Herrscher gar keine Antwort; nach einiger Zeit aber
schickte er einen Abgesandten mit dem Befehl, Waffen und Pferde auszu¬
liefern. Von seinen Waffen pflege er sich niemals zu trenuen, entgegnete Nach¬
tigal, und ein Pferd habe er dem Sultan zwar als Geschenk mitgebracht,
wünsche ihm dasselbe aber persönlich zu übergeben. Darauf setzte er
seinen Weg fort und nahm in der Hauptstadt bei seinem Gastfreunde,
dem Kaufmann, der ihn nach Abeschr geführt, ohne weiteres Wohnung.
Nach einigen Tagen sandte der Sultan eines Morgens um drei Uhr
einen Sklaven mit der Weisung, Nachtigal solle sofort mit seinem treff¬
lichen Gewehr, von dem er gehört habe, zu ihm kommen, um auf dem
Hose seines Palastes Proben von der Güte der Waffe abzulegen. Der
Reisende erwiderte kühl, der König habe ja jedenfalls selbst Schützen und
Gewehre genug; er sei übrigens gekommen, um ihn und sein Land kennen
zu lernen, nicht aber, um ihm etwas vorzuschießen. Wieder vergingen
mehrere Tage, während deren Nachtigal nicht wagte, sich außer dem
Hause sehen zu lassen. Dann ließ der Sultan ihn endlich förmlich
zur Audienz abholen.
Unter Thränen nahm sein braver Gastfreund, nahmen seine Diener
Abschied von dem kühnen Mann: sie hielten seine Hinrichtung für un¬