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Rirche und Schule 
jeder Streitpunkt zwischen Staat und Kirche ausgeschaltet, ganz 
besonders der katholischen Kirche gegenüber, die wenigstens in der 
Theorie seit dem Mittelalter die Souveränität des Staates in kirch¬ 
lichen Dingen nicht anerkennt. Nach dem heutigen Staatsrecht 
kommt keiner Kirche oder Neligionsgesellschaft ein rechtlicher An¬ 
spruch auf Zulassung und volle Entfaltung ihrer Verfassung im 
Staate zu. Der moderne Staat gewährt aber seinen Bürgern volle 
Gewissens- und Glaubens-, Kultus- und Religionsfreiheit. 
Erstere ist das Recht, seinen Glauben oder auch seinen Nichtglauben 
ohne rechtliche Nachteile zu bekennen. Auch der Dissident, der aus 
jeder Glaubensgemeinschaft ausgetreten ist, erleidet keine recht¬ 
liche Beschränkung als Staatsbürger. Die Kultusfreiheit ist das 
Recht, sich mit Gleichgesinnten zu Religionsgemeinschaften zusam¬ 
men zu tun und einen gemeinsamen Gottesdienst zu üben. Die ka¬ 
tholische Kirche als die allein seligmachende, wie sie sich nennt, ver¬ 
wirft beide Arten der Freiheit. Wir haben auf deutschem Boden 
weder ein Staatskirchentum, d. h. ein Verhältnis zwischen Staat 
und Kirche, bei dem ersterer die Kirche unbedingt beherrscht und ihr 
seinen Willen auf jeden Fall aufzwingt, noch einen christlichen 
Staat, d. h. einen Staat, der die Rechte Andersgläubiger, beispiels¬ 
weise der Juden gegenüber den Christen, einschränkt. (Kein Verbot 
von Ehen zwischen Christen und Juden.) Der Staat hat durch 
seine Gesetzgebung vielmehr der Kirche das Recht der 
Selbstverwaltung (Autonomie) eingeräumt. Das ist gewisser¬ 
maßen die goldene Mitte in allen Grenz- und Rechtsstreitigkeiten 
zwischen Staat und Kirche. Zu dieser Lösung schritten Preußen 
1848, Baden 1860, Württemberg 1862, Hessen 1875, Sachsen 1876; 
Bayern hat sein Verhältnis zum päpstlichen Stuhle 1817 im so¬ 
genannten Konkordat geregelt. Die Geistlichen sind bei diesem Ver¬ 
hältnis zwar nicht Staats-, wohl aber öffentliche Beamte. Ihnen 
garantiert darum der Staat ein Minimalgehalt in Anfangs- und 
Höchstgrenze. Der Staat beobachtet beiden Kirchen gegenüber Pari¬ 
tät, d. h. gleiche rechtliche Behandlung. 
Neben den beiden großen Kirchen bestehen Religionsgesell¬ 
schaften, die sich in allen Staaten meist der gleichen Ge-
	        
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