IV. Krieg und Dolksernährung 
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Landes, sowie eine vergrößerte Einfuhr, also eine gesteigerte Abhängigkeit 
vom Auslande, zur Folge haben. Interesse seines Handels und im ver¬ 
trauen auf seine Seeherrschaft hat England diesen weg beschritten. Es 
hat dadurch den Anteil der Landwirtschaft an der Gesamtbevölkerung, der 
sonst bei allen großen Völkern Europas 35 °/0 bis 69 % ausmacht, auf 1(3 % 
in Großbritannien und Irland und sogar auf nur 8,8 % in England und 
Wales herabgedrückt und gleichzeitig sich genötigt gesehen, seine Einfuhr an 
Brotgetreide — allerdings zum Teil aus eigenen Kolonien — bis auf reichlich 
drei Viertel seines Bedarfs zu steigern. Im Jahre 1(9(2 hatte cs bei einer 
eigenen Weizenerzeugung von (,6 Millionen Tonnen eine Weizeneinfuhr 
von 5,6 Millionen Tonnen. 
Hätten wir in Deutschland denselben weg beschritten, dann hätten wir 
einen Einfuhrbedarf an Brotgetreide, der den englischen noch um 2 Millionen 
Tonnen überstiege, ohne durch Kolonien dabei unterstützt zu werden. Da 
unsere Flotte uns diese Zufuhr nicht zu sichern vermöchte, würde daher 
heute wirtschaftliche Not uns sehr bald, trotz aller Ruhmestaten unserer 
Truppen, auf die Knie zwingen. Dankbar müssen wir es heute anerkennen, 
daß wir den zweiten weg gegangen sind, wir haben das neue Gleichgewicht 
nicht dadurch hergestellt, daß wir den Unterschied in den Hroduktions- 
bedingungen der konkurrierenden Getreidegebiete beseitigten, sondern da¬ 
durch, daß wir den fortfallenden Frachtenschutz durch einen neuen Zoll¬ 
schutz ersetzten. Um die politisch erst kürzlich errungene nationale Selb¬ 
ständigkeit auch wirtschaftlich zu erhalten, ging das Deutsche Reich unter 
Bismarcks starker Führung mit den Agrariern Ende der siebziger Jahre 
vom Freihandel zum Schutzzoll über. So haben wir mit den Mitteln der 
Handelspolitik eine ungebrochene Kontinuität in der Entwicklung unserer 
Landwirtschaft uns zu wahren gewußt, die Extenfivierung unseres wichtigsten 
Produktionszweigs, die in Kriegszeiten hätte verhängnisvoll werden müssen, 
verhindert und im Gegenteil durch eine wirksame, wenn auch opferreiche 
zollpolitische Konkurrenzregelung — ähnlich wie es in der Industrie mit 
andern Mitteln durch die Kartellierung oft erstrebt wird — die Ruhe zu in 
geschilderten großartigen intensiven Ausbau unserer Ackerwirtschaft uns 
gesichert, wir haben es nicht nur verhindert, daß unsere Mehreinfuhr an 
Brotgetreide im selben Maße, wie unsere Bevölkerung, anschwoll, sondern 
sogar ihre absolute Verminderung erzielt. Sie ist dem werte nach von 336 
Millionen Mark im Durchschnitt der Jahre (90( bis (905 auf 239 Millionen 
Mark inr Jahre (9(3 stetig zurückgegangen, und feit (909 sind wir sogar 
wieder ein Roggenausfuhrland. Im letzten Jahre hatten wir bei einer 
Einfuhr von 352 542 Tonnen eine Ausfuhr von 934 ¿(63 Tonnen Roggen. 
Die Einfuhr an Brotgetreide, mit deren Fortfall heute inr wesentlichen 
gerechnet werden nruß, besteht ausschließlich in Weizen, von ihm wurden 
im letzten Jahre 2 5-5 959 Tonnen eingeführt und 538 3-9 Tonnen aus¬ 
geführt, so daß sich ein Einfuhrüberschuß von rund 2 Millionen Tonnen 
ergibt. Da wir endlich gleichzeitig bei einer Einfuhr von (8 868 Tonnen 
eine Ausfuhr von -20 8-3 Tonnen in Weizen- und Roggenmehl hatten, 
so beläuft sich der gesamte Ausfall an Brotgetreide auf knapp ( Million
	        
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