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Zeit der Reife: Lyrik und Drama.
Gemachtes, Freiligrath und Lenau nicht ausgenommen. Das ist nie bei Ihren
Sachen der Fall: was Sie schreiben, gehört in das Ganze, wie jede einzelne Zacke
in einen Dom. Der Dom ist auch nicht aus der Erde gewachsen, sondern von
Menschenhänden aufgeführt; aber er ist doch ein Ganzes, Organisches, der (das)
5 außer dem Bereiche aller Willkür liegt, die hier und da einen Stein auch anders
hätte setzen können. Und dann ist's noch etwas mit Ihren Gedichten: leff ich
eins vom Freiligrath, vom Dingelstedt, so ist's etwa, als wenn ich etwas läse, was
ich mir verwandt, ebenbürtig fühle; es kann mich wohl überraschen, aber nicht mir
den Eindruck des Tiefen und Gediegenen, mit wunderbarer Intuition auf
10 einem fremden Felde Gepflückten machen, was Poesien von Shakespeare, W. Scott
(Byron nicht, Coleridge zuweilen) und von Ihnen für mich haben. Ich muß
dabei bleiben: sie sind klassisch, Ihre Gedichte. Vielleicht kann ich so mich expli¬
zieren: wie der Jünger Tieck zum Meister Goethe, wie der Jünger Jmmermaun
in seinen frühern Sachen zum Meister Tieck, so kommt mir alles, was jetzt an
iS Sagen und Balladen gedichtet wird, zu Ihren Gedichten sich verhaltend vor. Ihre
Sachen sind mir jetzt noch, nachdem alle literarischen Illusionen mir geschwunden
sind, was dem Menschen, der nie einen Vers zu machen sich erkühnt hat, Gedichte
überhaupt sind: wunderbare Sachen, von deren Entstehen er recht keinen Begriff
hat und von denen er zu glauben geneigt ist, sie werden wie die Kinder aus dem
20 Brunnen geholt. . . .
d) Annette an Schücking.
sMeersburg,) den 5. Mai 1842.
Guten Morgen, Levin! Ich habe schon zwei Stunden wachend gelegen und
in einem fort an Dich gedacht; ach, ich denke immer an Dich, immer. Doch punc-
25 tum davon, ich darf und will Dich nicht weich stimmen, muß mir'auch selbst
Courage machen und fühle wohl, daß ich mit dem ewigen Tränenweiden-Säuseln
sowohl meine Bestimmung verfehlen als auch Deine Teilnahme am Ende verlieren
würde; denn Du bist ein hochmütiges Tier und hast einen doch nnr lieb, wenn
man was Tüchtiges ist und leistet. Schreib mir nur oft; mein Talent steigt und
30 stirbt mit Deiner Liebe; was ich werde, werde ich durch Dich und um Deinet¬
willen; sonst wäre es mir viel lieber und bequemer, mir innerlich allein etwas
vorzudichten. Sobald ich diesen Brief geschlossen, geht's con furore ans Werk;
ich bin wieder in der fruchtbaren Stimmung, wo die Gedanken und Bilder mir
ordentlich gegen den Hirnschädel pochen und mit Gewalt ans Licht wollen, und
35 denke, Dir die Beiträge sehr bald schicken zu können, obwohl gewiß der Psalm
wieder um zwei Drittel zu lang werden wird, die Du dann mit wahrer Chirurgen¬
kälte amputierst. Mich dünkt, könnte ich Dich alle Tage nur zwei Minuten sehn,
— o Gott, nur einen Augenblick! — dann würde ich jetzt singen, daß die Lachse
aus dem Bodensee sprängen und die Möwen sich mir auf die Schulter setzten!
40 Wir haben doch ein Götterleben hier geführt, trotz Deiner periodischen Brummig-
keit! Ob ich Dir bös bin? Ach, Du gut Kind, was habe ich schon für bittere
Tränen darüber geweint, daß ich Dir noch zuletzt so harte Dinge gesagt hatte!
Und doch war viel Wahres darin. Aber mich vergißt Du doch nicht, was die Zeit
auch daran ändern mag; wenn der eine Haken bricht, so hält der andre; Dein
45 Mütterchen bleibe ich doch, und wenn ich auch noch vierzig Jahre lebe; nicht wahr,
mein Junge? Mein Schulte, mein kleines Pferdchen! Was hängen alles für Er-
40) Schücking war längere Zeit Laßbergs Gast gewefen und hatte die Bücherei des
Freiherrn geordnet.