A. II. A. 4. Novalis. 
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die leuchtenden Kugeln, 
zu verkünden deine Allmacht, 
deine Wiederkehr 
was einen höheren Raum 
mit unsäglicher Wollust füllt. 
100 in den Zeiten deiner Entfernung. 
Himmlischer als jene blitzenden Sterne 
in jenen Weiten 
dünken uns die unendlichen Augen, 
die die Nacht 
io5 in uns geöffnet. 
Weiter sehn sie 
als die blässesten 
jener zahllosen Heere; 
unbedürftig des Lichts 
iio durchschaun sie die Tiefen 
eines liebenden Gemüts, 
Preis der Weltkönigin, 
der hohen Verkündigerin 
heiliger Welt, 
der Pflegerin 
seliger Liebe. 
Du kommst, Geliebte — 
die Nacht ist da — 
entzückt ist meine Seele — 
vorüber ist der irdische Tag 
und du bist wieder mein. 
Ich schaue dir ins tiefe, dunkle Auge, 
sehe nichts als Lieb und Seligkeit. 
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b) Jus „Heinrich von Ofterdingen", Infang des ersten Kapitels. 
Die Eltern lagen schon und schliefen, die Wanduhr schlug ihren ein¬ 
förmigen Takt, vor den klappernden Fenstern sauste der Wind; abwechselnd 
wurde die Stube hell von dem Schimmer des Mondes. Der Jüngling 
lag unruhig auf seinem Lager und gedachte des Fremden und seiner Er- 5 
Zahlungen. „Nicht die Schütze sind es, die ein so unaussprechliches Ver¬ 
langen in mir geweckt haben," sagte er zu sich selbst; „fern ab liegt mir 
alle Habsucht! Aber die blaue Blume sehn' ich mich zu erblicken. Sie 
liegt mir unaufhörlich im Sinn, und ich kann nichts anderes dichten und 
denken. So ist mir noch nie zumute gewesen: es ist, als hätt' ich vorhin 10 
geträumt, oder ich wäre in eine andere Welt hinübergeschlummert; denn 
in der Welt, in der ich sonst lebte, wer hätte da sich um Blumen bekümmert! 
Und gar von einer so seltsamen Leidenschaft für eine Blume hab' ich da¬ 
mals nie gehört. Wo eigentlich nur der Fremde herkam? Keiner von 
uns hat je einen ähnlichen Menschen gesehen; doch weiß ich nicht, warum 15 
nur ich von seinen Reden so ergriffen worden bin; die andern haben ja das 
nämliche gehört, und keinem ist so etwas begegnet. Daß ich auch nicht 
einmal von meinem wunderlichen Zustande reden kann! Es ist mir oft 
so entzückend wohl, und nur dann, wenn ich die Blume nicht recht gegen¬ 
wärtig habe, befällt mich so ein tiefes, inniges Treiben: das kann und 20 
wird keiner verstehen. Ich glaubte, ich wäre wahnsinnig, wenn ich nicht 
so klar und hell sähe und dächte; mir ist seitdem alles viel bekannter. 
Ich hörte einst von alten Zeiten reden, wie da die Tiere und Bäume 
und Felsen mit den Menschen gesprochen hätten. Mir ist gerade so, als 
wollten sie allaugenblicklich anfangen und als könnte ich es ihnen ansehen, 25 
was sie mir sagen wollten. Es muß noch viel Worte geben, die ich nicht 
weiß: wüßte ich mehr, so könnte ich viel besser alles begreifend Sonst 
tanM'Ich^Mn; jetzt denke ich lieber nach der Musik." Der Jüngling 
verlor sich allmählich in süßen Phantasien und entschlummerte. Da 
träumte ihm erst von unabsehlichen Fernen und wilden, unbekannten Ge- 30 
Heydtmann-Keller, Deutsche» Lesebuch. III. 2
	        
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