B. I. 1 Heinrich Heine.
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D, dieser Streit wird enden nimmermehr;
stets wird die Wahrheit hadern mit dem Schönen,
stets wird geschieden sein der Menschheit Heer
in zwei Partein: Barbaren und Hellenen. 100
Das fluchte, schimpfte! Gar kein Ende nahm's
mit dieser Kontroverse, der langweil'gen.
Da war zumal der Esel Balaams,
der überschrie die Götter und die Heil'gen!
Mit diesem I—a, I—a, dem Gewiehr, 105
dem schluchzend ekelhaften Mißlaut, brachte
mich zur Verzweiflung schier das dumme Tier;
ich selbst zuletzt schrie auf — und ich erwachte.
d) Gotthol- Ephraim Lessing. (Gekürzt.)
Aus Deutschland I. Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland.
Seit Luther hat Deutschland keinen größeren und besseren Mann
hervorgebracht als Gotthold Ephraim Lessing. Diese beiden sind unser
Stolz und unsere Wonne. In der Trübnis der Gegenwart schauen wir 5
hinauf nach ihren tröstenden Standbildern, und sie nicken eine glänzende
Verheißung. Ja, kommen wird auch der dritte Mann, der da vollbringt,
was Luther begonnen, was Lessing fortgesetzt, und dessen das deutsche
Vaterland so sehr bedarf, — der dritte Befreier! — Ich sehe schon seine
goldne Rüstung, die aus dem purpurnen Kaisermantel hervorstrahlt „wie 10
die Sonne aus dem Morgenrot!"
Gleich dem Luther wirkte Lessing nicht nur, indem er etwas Bestimm¬
tes tat, sondern indem er das deutsche Volk bis in seine Tiefen aufregte
und indem er eine heilsame Geisterbewegung hervorbrachte durch seine
Kritik, durch seine Polemik. Er war die lebendige Kritik seiner Zeit, und 15
sein ganzes Leben war Polemik. Diese Kritik machte sich geltend im
weitesteil Bereiche des Gedankens und des Gefühls, in der Religion, in
der Wissenschaft, in der Kunst. Diese Polemik überwand jeden Gegner
und erstarkte nach jedem Siege. Lessing, wie er selbst eingestand, bedurfte
eben des Kampfes zu der eignen Geistesentwickelung. Er glich ganz jenem 20
fabelhaften Normann, der die Talente, Kenntnisse und Kräfte derjenigen
Männer erbte, die er im Zweikampf erschlug, und in dieser Weise endlich
mit allen möglichen Vorzügen und Vortrefflichkeiten begabt war. Begreif¬
lich ist es, daß solch ein streitlustiger Kämpe nicht geringen Lärm in
Deutschland verursachte, in dem stillen Deutschland, das damals noch 25
sabbatlich stiller war als heute. Verblüfft wurden die meisten ob seiner
literarischen Kühnheit. Aber ebendiese kam ihm hilfreich zustatten; denn
c>8er! ist das Geheimnis des Gelingens in der Literatur ebenso wie in
der Revolution — und in der Liebe. Vor dem Lessingschen Schwerte
zitterten alle. Kein Kopf war vor ihm sicher. Ja, manchen Schädel hat 30
er sogar aus Übermut heruntergeschlagen, und dann war er dabei noch so